«Peter Zumthor: Ein Landhaus ist der englische Sehnsuchtsort par excellence»
Von Marion Löhndorf
Auf einer Hügelkuppe im Südwesten Englands steht nun eines für alle. Ein Haus mitten im Niemandsland. Ausgestreckt auf einem Hügel in Devon, darum herum nur Landschaft. Die nächste Kleinstadt mit Zuganbindung liegt vierzig Autominuten entfernt, wenn alles gutgeht und einem kein Traktor entgegenkommt auf der kleinen Landstrasse.
Denn dann gibt es kaum ein Ausweichen. Das Haus ist luxuriös in seiner Schönheit und Eigenheit und zugleich diskret in der Selbstverständlichkeit, mit der es in der Landschaft Platz genommen hat. Ein Traum von Ruhe und Einsamkeit. Der Architekt ist Peter Zumthor und das Projekt typisch für den Künstler der Askese. Ein von ihm gestaltetes Gebäude muss nicht an einem Ort stehen, der sowieso von aller Welt bereist wird. Vielmehr bereist die Welt die Orte, an denen er baut, gleichgültig, ob in grossen oder kleinen Dimensionen, mit regionaler Wirkung oder internationaler Ausstrahlung, und selbst wenn es sich nur um eine winzige Kapelle auf einem Feld in der Eifel handelt.
Im Freien zu Hause
So auch dieses Mal. Oder vielmehr: Dieses Mal ist es noch besser. Denn das Haus kann nicht nur von uns allen besucht, sondern auch bewohnt werden. Es bietet Platz für zehn Personen, und jeder kann es ferienhalber mieten, mit etwas Glück und langem Atem. Denn der Bungalow in Devon, gerade erst vollendet und noch kaum in der Presse besprochen, ist schon bis Ende des kommenden Jahres ausgebucht.
Das Haus gehört zu Alain de Bottons Projekt «Living Architecture»: Der britisch-schweizerische Schriftsteller beauftragte Architekten mit sehr eigenen Handschriften, an verschiedenen Orte in Grossbritannien Ferienhäuser zu bauen. Diese sollten übers ganze Jahr von Gästen für maximal eine Woche gemietet werden können. Zu den bisher sieben Teilnehmern gehören Hopkins Architects mit einem Projekt in Norfolk, das Architekturbüro Nord baut in Kent, John Pawson in Wales, und der Künstler Grayson Perry hat zusammen mit FAT Architecture ein Haus in Essex gestaltet. Perrys vielfarbiges Phantasiebauwerk sieht aus wie eine «Alice im Wunderland»-Kulisse und steht zusammen mit dem so ganz anders gearteten Zumthor-Haus bei den Feriengästen an der Spitze der Beliebtheitsskala.
Was Alain de Botton zu seinem «Living Architecture»-Projekt inspirierte?
«Wenn es um Gebäude geht, ist Grossbritannien immer noch sehr in das Alte verliebt und allem Neuen gegenüber ängstlich.» Das wollte er ändern, einer gewissen Skepsis zum Trotz: «Das zugige Schiebefenster macht keine Anstalten, in Rente zu gehen. Möbel zu erben und sich nicht um funktionierende Sanitärinstallationen zu kümmern, gehört immer noch zu den mysteriösen Statussymbolen». Von alldem findet sich natürlich keine Spur in Peter Zumthors Gesamtkunstwerk mit von ihm selbst entworfenen Möbeln und dreifach verglasten Fenstern, die vom Boden bis zum Himmelreichen. Sie erlauben einen Blick, der über die Hügellandschaft weit in die Ferne und fast bis ans Meer wandern kann, zuallererst aber auf zwanzig Meter hohe Monterey-Pinien trifft, die sich scherenschnittartig mit breit ausladenden Ästen in den Winterhimmel zacken. Sie standen einmal dicht an dicht, amerikanische Importe aus der Nachkriegszeit. «Dieses Gebäude feiert die Bäume und die Landschaft», sagt Zumthor. «Das Haus freut sich an Dingen, die da sind».
Der abgelegene Ort hat ihn gereizt und auch die Aufgabe: «Es ist selten geworden, dass man in einem Haus sitzen und auf eine schöne Landschaft blicken kann, wo keine Spuren von anderen Gebäuden
die Umrisse der Hügel unterbrechen. «Zuvor stand am selben Platz ein
altes, marodes Holzhaus, das dann ganz abgerissen wurde. Die frühere Besitzerin ist glücklich mit Zumthors neuer Architektur, wie Laien sich ja oft in seine Bauten verlieben, und sie freut sich, dass ein achteckiger, steingemauerter Patio vor der Tür, der immer schon da war, erhalten blieb.
Ein Haus für die Ewigkeit
Das «Secular Retreat» – die Häuser von «Living Architecture» haben alle Namen – enthüllt sich auf dem an- und absteigenden Gehweg, der vom Parkplatz zum Eingang führt, erst langsam. Das Prinzip ist einfach: Die massive, vorkragende Betonplatte des Dachs wird von ebenso mächtigen Stampfbetonpfeilern gestützt. Die wie Bänder verlaufenden Betonschichten der Wände betonen die Horizontale. Im Innern setzt sich der Beton gegen einen matt glänzenden Steinfussboden ab, ein Mosaik aus unregelmässig angeordneten Platten in unterschiedlicher Grösse. Von einem grossen offenen Raum mit asymmetrischen, verglasten Aussenwänden gehen zwei geradliniggeschnittene Schlaftrakte aus. Massive Betonpfeiler werden in der lobbyartigen Wohnfläche zu skulpturalen Elementen und schaffen verborgene Winkel, die unerwartete Rückzugsorte öffnen. Der Garten wurde in enger Abstimmung des Zumthor-Studios mit einer lokalen Firma mit in Devon heimischen Pflanzen gestaltet. Wenn die skulpturalen Monterey-Pinien einmal sterben, werden jetzt schon gepflanzte Eichen an ihrer Stelle stehen. Die Landschaft, der Garten, die Kontaktaufnahme mit der Geschichte, das sind die auch hier wiederkehrenden Themen von Zumthors Arbeit. Aussen- und Innenwelt, Natur und Kunst, Gewachsenes und Gemachtes spielen zusammen. Von jeder Perspektive aus, mit jedem Schritt fast verändert sich das Haus, ganz gleich, ob man es von aussen betrachtet oder sich auf das Innere einlässt. Überraschungseffekte
sind Teil der Erfahrung. Mit seinen dicken Wänden sieht der Bungalow aus wie ein Ferienhaus für die Ewigkeit: Das kann so schnell nichts erschüttern. Der archaischen Anmutung und allem scheinbaren Minimalismus zum Trotz – der hier eigentlich die höchste Verfeinerung einer Einfachheit ist, die zugleich das Material, das Handwerk und die Detailsorgfalt feiert – liegt in der Strenge der Entwürfe auch eine kompromisslose Autorität. Bei Zumthors Häusern spürt man, wie lange sie von ihrer Erfindung bis zur Fertigstellung gebraucht haben: In Devon etwa hat er wie auch bei der Bruder-Klaus-Kapelle in der Eifel Mauern aus horizontal geschichtetem Stampfbeton gebaut. Dabei handelt es sich um eine der ältesten Betonarten, deren Fertigung besonders zeitintensiv ist und deren Effekt hier an natürliche Sedimentschichten erinnert. Mit einem warmen, eher hellen Farbton kann der Beton heiter wirken im Licht, denn die Steine und der Sand, aus denen der Stampfbeton vor Ort hergestellt wurde, stammen aus der Gegend, wo die Erde rötlich ist. Abgesehen von all ihren viel- und immer wieder zu Recht gerühmten ästhetischen Qualitäten, den vielfältigen Referenzen und ihrer Originalität, der handwerklichen Genauigkeit und dem besonderen Umgang mit Materialien steckt noch etwas anderes in Zumthors Bauten, das grösste Luxusgut von allen: Zeit. Zehn Jahre waren es beim «Secular Retreat» in Devon.
Gesellige Abgeschiedenheit
Nicht äussere Bewegung, sondern ihre innere Spannung macht Zumthors Gebäude lebendig. Hier treffen schwere Betonmauern, -wände und -pfeiler auf die Leichtigkeit und Offenheit der grosszügigen Panoramafenster, abenteuerlustige Diagonalen auf gerade Linien.
Die grossen Räume laden zu Gemeinsamkeit, Tischgesellschaften und Festen ein, die kleinen zur Ruhe. Lokales und Überregionales begegnen sich: Umgeben von den exotischen Monterey-Pinien, liesse sich der Bungalow auch in Kalifornien vorstellen oder als Kulisse
für einen Film. Zugleich ist da das typische Setting solcher Landsitze in England, die oft verborgen oder abgelegen sind, mit einem offenen Kamin als zentralem Element und häuslichem Treffpunkt. Ein «house
in the country» ist eine Stätte der Geselligkeit und der Splendid Isolation zugleich – und mehr noch: der englische Sehnsuchtsort par excellence. Auch diesen Aspekt hat der Schweizer Architekt seinem erdverbundenen weltentrückten Entwurf eingeschrieben.
(NZZ, 5.1.2019, mit freundlicher Genehmigung der Autorin).