FRONTPAGE

«Picassos Frauen»

Von Gertraude Clemenz-Kirsch

Eines schönen Maiabends im Jahre 1943 besuchte Françoise mit ihrer Freundin das Restaurant Le Catalan, in dem gewöhnlich auch Picasso speiste. Auch an jenem Abend saß er ein paar Tische weiter mit Freunden, neben ihm Dora Maar, die jugoslawische Fotografin, von der jeder wusste, dass sie seit 1936 seine Geliebte war. Während des Essens schaute der Maler immer wieder zu Françoise und ihrer Freundin hinüber und lächelte sie an. Schließlich kam er an ihren Tisch und brachte ihnen eine Schale Kirschen.

 

Françoise fiel auf, dass er sie cerisses nannte und dabei ein sehr scharfes doppeltes S sprach. Diese erste Begegnung war der Beginn einer zehnjährigen Liebe des 62-jährigen Picasso zu der 21-jährigen Françoise Gilot.

Doch in den folgenden drei Jahren nach diesem Treffen begegneten sich die angehende Malerin und der bekannte Maler nur sporadisch. Die junge Frau hatte eigene Pläne für ihre persönliche und berufliche Entwicklung.
Die galt es zunächst gegen den Willen ihres Vaters durchzusetzen. Die Tochter aus bürgerlichem Haus mit modernen Vorstellungen – der Vater war erfolgreicher Kaufmann –, sollte Jura studieren, um einen angesehenen und erfolgversprechenden Beruf ergreifen zu können. Doch die Tochter gab nach zwei Jahren das Studium auf, um ihrer Berufung folgend sich mit bildender Kunst auseinander zu setzen. Es kam zum Bruch mit dem Vater und Françoise zog zu ihrer Großmutter in die Nähe des Bois de Boulogne. Françoise richtete hier ihr erstes Studio ein und organisierte ihre erste Ausstellung. Der junge Ungar Endre Rozsda, ein begeisterter Anhänger der Kunst Picassos, unterrichtete sie.
Françoise besuchte zu dieser Zeit Picasso zwei oder dreimal in der Woche, wenn es ihre Arbeit erlaubte. In seinem Atelier traf sie auf Persönlichkeiten der Literatur-, Kunst- und Politikszene: Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, die Dichter Pierre Reverdy und Jacques Prévert, Jean Cocteau, der mit seinem Freund Jean Marais über Bühnenbilder und Kostüme diskutierte, und Andre Malraux, der in der Résistance kämpfte.

Paris war von den Deutschen besetzt und man kann sich vorstellen, wie die junge Frau in dieser Atmosphäre die künstlerisch alternativen und politisch widerständigen Reden aufsog. Gelegentlich tauchten deutsche Offiziere auf, die das Atelier des Gegners des Franco-Regimes und entarteten Künstlers durchsuchten.
Mit dem Fahrrad fuhr Françoise durch Paris, um Pablo ihre Skizzen und Bilder zu zeigen. Es hatte sich eine Art Dialog des Zeichnens zwischen ihnen entwickelt, und gegenseitig regten sie sich zu Porträtzeichnungen an.

Noch gab es in Paris Fliegeralarme, doch dann begann man, Pflastersteine herauszureißen, um Barrikaden zu errichten. Die deutschen Truppen kämpften gegen die Résistance und am 24. August 1944 war Paris endlich befreit.
Picassos Atelier war voll von amerikanischen Soldaten, jungen Schriftstellern, Intellektuellen und Künstlern. Wenn sie allein waren, sprachen Françoise und Pablo über das Leben und die Kunst. Er vermittelte ihr seine Auffassungen über verschiedene Stilrichtungen und suchte mit ihr die Stätten seines Lebens in Paris auf, den Montmartre-Hügel oder das Bateau-Lavoir.

Schon damals, in der Zeit der größten gegenseitigen Zuneigung, staunte Françoise über seine merkwürdigen Äußerungen: »Du darfst dir nicht einbilden, dass ich für immer und ewig an dir hängen werde.«
Oder: »Glaub nur nicht, dass du mir etwas bedeutest, ich liebe meine Unabhängigkeit.«
Und eines Nachmittags: »Ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt gebeten habe zu kommen. Ich hätte viel mehr Spaß daran, ins Bordell zu gehen.«
Als Françoise ihn fragte, weshalb er es dann nicht tue, platzte er heraus: »Das ist es ja gerade, deinetwegen habe ich ja nicht einmal Lust dazu. Du zerstörst mein Leben.«

Françoise hatte sich fest vorgenommen, ihr Leben und ihre Handlungen selbst zu bestimmen, sich nicht völlig in Picassos Hand zu begeben. Weder wollte sie sein Opfer sein noch seine Märtyrerin.«

Im März 1946 durchstreiften sie die Côte d’Azur. Sie hielten sich in Golfe Juan und Antibes auf und besuchten Henri Matisse in Vence. Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen dem betagten Matisse und der jungen Françoise. Viel später wird sie das Buch Matisse und Picasso – eine Künstlerfreundschaft schreiben.
Wieder in Paris, bedrängte Picasso Françoise eines Abends, doch endlich bei ihm zu bleiben. Er sagte: »Wenn zwei Menschen nicht zusammen leben, kommt eine Zeit, in der sie beginnen, sich auseinander zu leben … Ich brauche dich und bin es müde, ohne dich auskommen zu müssen. Und weil ich ohne dich nicht auskommen kann, musst du zu mir kommen.«
Obwohl sie um seine Verhältnisse mit Dora und Marie-Thérèse wusste, beschloss sie, zu ihm zu ziehen.

Sie schrieb ihrer geliebten Großmutter und der Mutter in Briefen, dass sie sich entschieden habe, auf andere Weise zu leben und dass sie später Erklärungen
erhalten würden. Ab nun ist »… Françoise das neue Modell, das neue Versuchsobjekt für alle Ideen, alle bildnerischen Themen, die Picasso in den Sinn kommen. Doppelter schwarzer Bogen der Augenbrauen, vollkommen regelmäßig gerundetes Gesicht, große runde Brust, das sind Françoises Zeichen in Picassos Sprache, wozu noch die feine Statur kommt.«

In den ersten Monaten hat sie das Atelier nicht verlassen. Er begann, sie zu malen: Das Porträt La femme-fleur, die Blumenfrau. Françoise schildert den Malvorgang in ihrem Buch Leben mit Picasso.
Ursprünglich sei das Bild eine ziemlich realistische Komposition einer sitzenden Frau gewesen, an der Picasso lange Zeit gemalt habe. Doch dann habe er abgebrochen: »Nein, das ist einfach nicht dein Stil! Ich sehe dich nicht sitzend, du bist kein passiver Typ. Ich sehe dich nur stehend.« Und er habe begonnen, die Figur zu vereinfachen und in die Länge zu ziehen. Ihr Haar habe die Form eines Blattes angenommen und das Porträt habe sich nach und nach in ein symbolisches Blumenmotiv verwandelt. Das Gesicht schien ihm nicht zu dem übrigen gepasst zu haben. »Ich muss dem Gesicht eine andere Idee zugrunde legen, ich werde die Länge hineinbringen, indem ich eine kalte Farbe nehme – blau. Es wird wie ein kleiner Mond aussehen.« Er schnitt aus blau bemaltem Papier kleine Formen aus, die er mit Zeichen für Augen, Nase, Mund versah und so lange über die Leinwand schob, bis sie an dem richtigen Platz waren. Nachdem das Bild vollendet war, äußerte er zufrieden: »Weißt du, wir sind alle mehr oder weniger Tiere, aber du nicht. Du bist wie eine Pflanze im Wachstum, und ich habe mich gefragt, wie ich es ausdrücken könnte. Noch nie habe ich mich getrieben gefühlt, jemanden so zu malen.«

Françoise scheute sich nicht, Picasso während des Malens nach seinen Gedanken zu befragen. »Ihr Verhältnis war stets von Achtung und Intellektualität geprägt. Marie-Thérèse hatte es nicht gewagt, ihn auszufragen, doch Françoise legte sich diesbezüglich keine Schranken auf«, schreibt der Enkel Olivier.
Den Sommer 1946 verbrachten Pablo und Françoise im Haus von Dora Maar in Ménerbes. Françoise war darüber sehr befremdet. Schon der Umstand, dass sie in Doras Haus logierten, machte ihr schwer zu schaffen. Es kam zu Auseinandersetzungen, in deren Folge sich Françoise aus dem Haus schlich. Doch ehe sie sich weit entfernen konnte, holte Pablo sie ein. Verzweifelt bat er sie zu bleiben. In zärtlichen Gesprächen überredete er Françoise, sich doch ein Kind anzuschaffen.
Sein Wunsch sollte in Erfüllung gehen, Françoise wurde gegen Ende August schwanger. Mit Rücksicht auf ihren Zustand kehrten sie Ende November nach Paris zurück.

 

Am 15. Mai 1947 kam ihr gemeinsamer Sohn Claude zur Welt. Der Kindernarr Picasso war glücklich. Die Motive seiner Bilder waren nun die Mutter mit dem Sohn.
Im Sommer 1947 boten die Ramiés, die Besitzer der Töpferei Madoura in Vallauris, Pablo an, in ihrer Werkstatt zu arbeiten. Den ganzen Winter 1947/1948 blieben sie an der Côte.
Olga, die den beiden hinterher gereist war, ließ keine Gelegenheit aus, Françoise anzusprechen und zu attackieren. Die junge Frau konnte diese Anfeindungen nicht verkraften. Pablo reagierte nicht bis zu dem Tag, an dem er einen Polizeikommissar bitten musste, Olga zur Raison zu bringen. Inständig bat Françoise Pablo, doch eine neue Bleibe zu suchen.
Im Mai 1948 vermittelten ihnen die Ramiés ein Haus in Vallauris, das die Großmutter auf der Stelle für Françoise kaufte. »Sie wollte auf keinen Fall, dass ihre Enkelin bei irgendjemandem wohnte.«. Es hieß La Galloise und war eine kleine unansehnliche Villa. Während Françoise alles herrichtete, war Picasso schlecht gelaunt, nörgelte herum und knurrte, wann er denn endlich zum Malen käme.

Françoise bewältigte den Umzug mit Pablos Sohn Paulo und Picassos Chauffeur. Sie schreibt:
»La Galloise liegt oben in einem Garten von ungefähr 8000 Quadratmetern, der sich einen Hang hinaufzieht; man kann das Haus nur über eine lange Treppe erreichen. Als wir uns vielleicht vierzigmal schwer beladen hinauf- und heruntergeschleppt hatten, kam es uns allmählich so vor, als seien das die Stufen nach Golgatha. Am Abend waren wir dem Zusammenbruch nahe.«Picasso hatte sich in keiner Weise an dem Umzug beteiligt.
Die Stimmung wurde auch im neuen Haus nicht besser. Pablo quälte Françoise mit seinen Nörgeleien, doch sie quälten ganz andere Sorgen. Sie konnte Pablos weitreichende Vergangenheit nicht abschütteln.
Sie litt ständig unter dem Gedanken, dass er eigentlich ein Leben mit mehreren Frauen lebte. Gemeinsam sprachen sie von der harmonischen Zeit während Françoises Schwangerschaft mit Claude und beschlossen, sich ein weiteres Kind anzuschaffen.
Ihre Hoffnung erfüllte sich, Françoise wurde erneut schwanger. Zärtlich und aufmerksam verfolgte Pablo ihren Zustand.

 

Im Oktober kehrten sie nach Paris zurück. Françoise sah man ihre Schwangerschaft an, sie war fülliger geworden. Und da Picasso füllige Frauen liebte, war er der aufmerksamste Liebhaber. Nur nahm er wenig Rücksicht auf ihren Zustand, wenn er sie für sich arbeiten ließ. Sie musste ihm in kürzester Zeit große Vorzeichnungen von Objekten anfertigen, auf deren Grundlage er dann weiterarbeiten wollte. Fielen diese nicht zu seiner Zufriedenheit aus, brüllte er seine schwangere Frau an. Doch meistens fertigte Françoise die Arbeit so, dass er mit ihnen einverstanden war.

Am 19. April 1949 brachte Françoise ein kleines Mädchen zur Welt. Sie nannten sie Paloma, die Taube, nach dem Symbol, das Picasso für ein Plakat des Weltfriedenskongresses entwickelt hatte. Trotz der schönen Zeit mit den Kindern gelang es Françoise nicht, sich von den Gedanken an die anderen Frauen zu lösen. Von Olga trafen regelmäßig Briefe ein und auch Marie-Thérèse meldete sich häufig. Pablo zwang ihr Gespräche über seine Frauen auf und quälte sie mit Ausführungen darüber, was er an dieser oder jener Frau besonders anziehend oder abstoßend fand.
Françoise durchschaute allmählich seine Strategie: »Er setzte immer die Menschen um ihn herum miteinander in Wettstreit – eine Frau gegen die andere, einen Kunsthändler gegen den anderen, einen Freund gegen den anderen. Es gelang ihm meisterhaft, eine Person als rotes Tuch und die andere als Stier zu benutzen. Während der Stier auf das rote Tuch losging, konnte Pablo unbemerkt seine verletzenden Hiebe austeilen. Und fast niemand kam der Gedanke nachzusehen, wer sich hinter dem roten Tuch verbarg.«.

So war seit Jahren Françoise das rote Tuch für Marie-Thérèse. Doch umgekehrt praktizierte er dies nun mit Françoise. Als Marie-Thérèse den Sommer 1949 mit der Tochter Maya in Juan-Les-Pins verbrachte, besuchte Picasso sie regelmäßig.
Françoise spielte nicht mehr mit. Sie bat Picasso, Marie-Thérèse und Maya einzuladen, damit sich die Kinder kennenlernen konnten. Maya war dreizehn Jahre alt und hatte die neue Familie des Vaters nur in den Illustrierten gesehen. Während die Geschwister ohne Probleme aufeinander zugingen, standen sich die Frauen distanziert gegenüber.
Die tägliche Arbeit wurde für Françoise deutlich härter, als Pablo im Sommer 1949 die alte Parfümfabrik Les Fournas am Rande von Vallauris kaufte, um dort zu töpfern und zu malen. Es war ein riesiges Haus ohne Zentralheizung. In jedes Zimmer wurde ein großer Ofen installiert, und Françoise musste allmorgendlich den Weg hinunterfahren und alle Öfen heizen. Picasso wollte es warm haben, wenn er mittags aufstand. So verlief ihr Morgen nach 6 Stunden Schlaf: Zuerst war das eigene Haus zu heizen, dann die Ateliers, später musste die Post sortiert und beantwortet werden und in der Töpferei war nach dem Rechten zu sehen. Dort standen die Keramiken. Erst dann versorgte sie die Kinder und fuhr sie in den Hort.

Wenn Picasso ins Atelier ging, nahm er Françoise mit, die den alten Kinderwagen schob. Auf Schuttplätzen und in Mülltonnen entdeckte er ständig Fundstücke, die in die Werkstatt transportiert werden mussten.
Die Hausarbeit war ohne personelle oder die heute übliche technische Unterstützung zu erledigen. Außerdem war sie noch immer sehr schwach von der Geburt Palomas.
Was sie aber am allermeisten schwächte, waren Picassos Neurosen und Ängste um die beiden Kleinen. Ständig fuhr er im Bett hoch und gebot ihr, nach den Kindern zu schauen. Und diese fanden die Sorge interessant und wurden immer anspruchsvoller.
Françoise war körperlich in so schlechter Verfassung, dass sie die sexuellen Bedürfnisse ihres Geliebten nicht mehr befriedigen konnte. Für ihre eigene Malerei fand Françoise kaum noch Zeit. Seit sie mit Pablo zusammenlebte, hatte sie drei Jahre nicht mehr gemalt. Sie fragte sich, ob sie das überhaupt könne, ohne Picassos Einfluss zu reflektieren.
Seit 1949 malte sie wieder, musste sich aber einschließen, um sich konzentrieren zu können.
Ihre Aufgabe als Gastgeberin nahm die junge Frau gern wahr. Denn interessante Freunde und Bekannte, die den Urlaub an der Côte verbrachten wie Paul Éluard, Louis Aragon und seine Frau Elsa Triolet, der Dichter Jean Cocteau oder Marc Chagall und seine Geliebte Virginia, Fernand Léger und Kunsthändler, so auch Kahnweiler, machten Station bei Picasso.
Mit einer schwangeren Frau, die er modellierte, drückte Pablo seinen Wunsch nach einem dritten Kind aus, aber Françoise wollte nicht mehr. Sehnsüchtig erwartete sie von Pablo mehr Wärme und Geborgenheit, aber nie konnte sie mehr verlangen als das Glück der Hingabe an den Menschen und sein Werk.

Sie spürte Pablos Nervosität, der »etwas von einem gewonnenen Spiel, das sie mit ihren zwei Kindern habe«, murrte, »und dass sie das Heft in der Hand hielt.«. Zufrieden war er erst dann, wenn er in seinem Atelier modellierte. Doch die angespannte Atmosphäre im Haus machte auch ihm zu schaffen. Er begann, Françoise allein zu lassen. Er fuhr nach Paris oder nach Nîmes zum Stierkampf, kam nachts nicht nach Hause und beschimpfte Françoise, wenn sie auf ihn wartete. In Françoise stieg Bitterkeit auf, und sie fühlte sich in höchstem Maße ungerecht behandelt.
Hatte Pablo nicht gewollt, dass sie weiblicher würde, hatte er nicht gewollt, dass die Kinder kamen? Sie weinte viel in dieser Zeit, er machte ihr bittere Vorwürfe über ihren schwachen Zustand und ihr Aussehen:
»Du warst eine Venus, als ich dich kennenlernte. Jetzt bist du ein Christus – und zwar ein romanischer Christus, bei dem man alle Rippen zählen kann. Du begreifst doch hoffentlich, dass du mich so nicht interessierst.«Vernichtende Worte für die junge Frau, doch sie schluckte es, weil sie Picasso gefallen wollte und um die Beziehung kämpfte. Doch sie spürte zugleich, dass auch ihre Liebe zu Pablo abkühlte.
Als 1951 Françoises Großmutter starb, fühlte sie sich so verlassen, dass sie diesen Zustand nicht mehr ertrug. Sie wusste jetzt, dass sie nun diejenige war, die vom Schicksal der Frauen vor ihr eingeholt worden ist. Sie erklärte Pablo, dass sie ihn verlassen müsse.
Trotz all dieser Probleme organisierte Françoise im Herbst 1951 ihre Ausstellungen in der Galerie La Hune in Paris und 1952 in der Galerie Louise Leiris bei Kahnweiler. Mit Stolz verzeichnet sie, dass sich ins Gästebuch neben Paul Éluard, Jean Cocteau und Jaime Sabartés auch Picasso eingetragen hatte. Dank des Vertrages von Kahnweiler war sie zum ersten Mal finanziell unabhängig, seit sie mit Picasso zusammenlebte.
Damit unterschied sie sich grundsätzlich von den anderen Geliebten Picassos, die lebenslang auf seine Unterstützungen angewiesen blieben.
Nach der Ausstellung im April 1952 reisten Françoise und Pablo wieder nach Vallauris zurück. Doch schon im Oktober 1952 musste Picasso wieder nach Paris, sein Freund Paul Éluard war gestorben. So sehr ihn Françoise auch bat, sie mitzunehmen, er fuhr allein. Jetzt stand der Entschluss für Françoise endgültig fest: Am 30. September 1953 verließ sie ihren Lebensgefährten für immer. Sie ging nach Paris und nahm die beiden Kinder mit.

 

Ein letztes Mal sollte sie ihm 1954 in Vallauris bei der ersten Corrida, die zu Ehren Picassos veranstaltet wurde, begegnen. Er saß auf der Tribüne, umgeben von Jean Cocteau, Jacques Prévert, seinem Sohn Paulo und den Kindern Maja, Claude und Paloma, an seiner Seite Jacqueline Roque. Françoise, die eine erstklassige Reiterin war, eröffnete diesen Stierkampf.
Mit einer tiefen Verbeugung des Pferdes dankte sie ihm für all das, was er ihr gegeben hatte. Picasso war begeistert. Françoise hingegen wusste allzu gut, dass er sie nur deshalb bewunderte, weil sie ihn verlassen hatte und weil sie sich geweigert hatte, ihr Leben dem seinen unterzuordnen. Sie fühlte sich stark, als sie an jenem Abend nach Paris zurückfuhr.

 

 

1955 heiratet Françoise Luc Simon, einen jungen Maler, der zu ihrem früheren Bekanntenkreis gehörte.
1956 wird ihre gemeinsame Tochter Aurelia geboren.
Doch nach fünf Jahren trennten sie sich als gute Freunde. Im gleichen Jahr kündigt ihr Kahnweiler den Vertrag mit der Galerie Louise Leiris.

1964 veröffentlichte Françoise Gilot ihr Buch Life with Picasso. Das Malergenie des XX. Jahrhunderts wollte keinen Blick in sein Privatleben zulassen und führte einen Prozess gegen das Erscheinen des Buches, den er verlor.
Eine große Liebe erfuhr Françoise noch einmal, als sie den Forscher und Erfinder des Impfstoffes gegen die Kinderlähmung, Jonas Salk, kennenlernte und 1970 heiratete. Sie lebten in Kalifornien und Paris.

 

Françoise Gilot bekleidete in den USA angesehene Positionen. 1973 bis 1977 war sie Art Director des Virginia Woolf Quaterly in Kalifornien, 1976 wurde sie in den Vorstand des Departement of Fine Arts an der University of Southern California berufen. Als 1985 das Musée Picasso eröffnet wurde, war sie mit ihren Kindern Claude und Paloma anwesend.
Ihr wurden hohe Ehrungen zuteil. 1988 wurde ihr der Orden für Kunst und Literatur im Rang eines Kommandeurs verliehen. Eine außerordentliche Ehrung durfte sie im Jahre 1990 entgegennehmen, als sie im Beisein des Präsidenten der Republik zum Chevalier de la Légion d’Honneur ernannt wurde.
Im Jahre 1996 erhielt sie vom französischen Staatspräsidenten den Ordre National du Mérite im Rang eines Offiziers.
Ein schwerer Schlag traf sie, als im Juni 1995 ihr Gefährte und Ehemann Jonas Salk 80-jährig im kalifornischen San Diego starb.

In den Kunstsammlungen Chemnitz, der letzten Ausstellung in Deutschland, stellte sie im September 2003 ihre Arbeiten aus der Zeit von 1945 – 2001 aus.
Den größten Teil des Jahres lebt sie in New York, hat aber auch noch ihren zweiten Wohnsitz hoch über Paris, auf dem Montmartre. Auf die Frage des Pariser Kulturkorrespondenten Wolfgang Wiegand, ob sie noch male, antwortete sie: »Aber sicher, jeden Tag. Doch die Malerei ist keine Arbeit wie irgendein Beruf, sie ist eine Leidenschaft.«

 

 

Gertraude Clemenz-Kirsch
Die Frauen von Picasso
144 Seiten, Halbleinen
CHF 22.90. , € [D] 15.80 |
ISBN 978-3-86915-062-8

Biografische Porträts über die wichtigsten Picasso-Frauen:
Fernande Olivier, Eva Gouel, Olga Khokhlova, Marie-Thérèse
Walter, Dora Maar, Françoise Gilot und Jacqueline Roque.

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Literatur