FRONTPAGE

«Erkundungen in Island: Wo die Erde brodelt und die Trolle toben…»

Von Rolf Breiner

 

 

Zu Lande und zu Wasser – wer eine Schiffsreise nach Island unternimmt, kann einiges erzählen. Unsere Kreuzfahrt führte von Hamburg über die Shetland Inseln nach Island mit einem Abstecher nach Orkney und über Amsterdam zurück nach Hamburg. Impressionen zwischen Nordsee und Atlantik vom schwimmenden Riesenhotel und Landausflügen, von Wikingern, Walen, dampfenden Wassern und mehr.

1. Tag. Man muss schon sehr früh an diesem Freitag aufstehen, um den ersten Flieger nach Hamburg zu «entern». 7.25 Uhr Abflug von Kloten und pünktliche Landung in Hamburg um 9 Uhr. Ella, die «gute Fee» vom Reisebüro Mittelthurgau, half, den Bus ausfindig zu machen, der uns in Hamburg zum Cruise Center brachte. Und da lag er nun der Riesenpott MSC Magnifica mit einer Länge von 293 Metern, einer Breite von 32 Metern sowie gut 15 Stockwerke hoch. Gigantisch. Über 970 Besatzungsmitglieder sollen Schiff und 2400 Passagieren zu Diensten stehen. Es war Mittag und regnete nicht – wie später so oft. Das Gepäck wartete auf gute Gepäckgeister – und wir nichts wie weg. Landgang. In knapp 20 Minuten waren die Landungsbrücken zu Fuss erreicht. Im Blockbräu Brauhaus sitzt man auf den Terrassen wie ein Weltenbummler, lässt den Blick zur millionenumwitterten Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron schweifen, lässt Schiffe an sich vorüberziehen, das hauseigene Bier und den Matjes – Sie wissen schon: dieser gepökelte, zarte Hering – über der Zunge zergehen. Es reicht noch für einen Spaziergang zum Michel, diesem protestantischen Kirchen-Symbol Hamburgs. Und dann hiess es am späten Nachmittag einchecken, das dann freilich rund 50 Minuten dauerte. Falsche Zeit, aber richtiger Ort. Alle an Bord um 17.30 Uhr, hiess die Order. Anker heben um 18.30 Uhr. Es wurde dann doch 20.20 Uhr. Irgendwelche Passagiere hatten Verspätung. Dann endlich ‚Ahoi’ und auf der Elbe Richtung Nordsee! Glücklich, wer wie wir zur zweiten Essensschicht um 20.30 Uhr eingeteilt war. Suppe und Fisch schmeckten, der einfache italienische Wein auch. In weiser Voraussicht hatten wir gleich den Schiffs-Passpartout für freies Trinken «Allegressimo» (290.95 Euro pro Person und Kreuzfahrt) erstanden. Das heisst: Kaffee, Wasser, Gelati, gewisse offene Weine, Biere, Cocktails usw. à discretion.

 

2. Tag. «Erholung auf See» war angesagt. Also Zeit, die verschiedenen Möglichkeiten auf dem majestätischen MSC-Monster zu nutzen – von Wellness und Beauty bis Shoppen und diversen Bars. Abgesehen von animierten Aktivitäten wie Turnen und Tanzen, Quiz, Bingo, Koch- und Revueshows, Tai Chi oder Referaten. Lektorin Sonja Weidhase referierte etwa über «Die Shetland Inseln und das Gold der Nordsee». Solide Informationen, auch eigene Erfahrungen – aber die Form war so altertümlich wie alte Wikingerschiffe. Ihr Lichtbildervortrag, bestückt mit teilweise unscharfen Aufnahmen und abfotografierten Dokumenten, wurde so zur reinen Routine, geprägt von spröder Einfallslosigkeit. Leider erwiesen sich die durchaus informativen Vorträge über Island, Akureyri oder die Wikinger mehrheitlich als monotone Diashow mit bescheidenen Laptop-Mitteln. Eine modernere Präsentation tut not.

 

 

3. Tag. Gegen 8 Uhr morgens lief die MSC Magnifica die schottischen Shetlands an: Welcome in Lerwick. Ausschiffung mit Tenderbooten, weil die Magnifica nicht direkt andocken kann. Welcher Hafen hat solch riesige Quais für 300-Meter-Kreuzer! Das gibt’s in Reykjavik, Kirkwall (Orkney Islands) und natürlich Amsterdam. Die zweieinhalbstündige Bus-Exkursion führte vor allem zum Jarlshof, einer Ausgrabungsstätte, die quasi von Wind und Meer freigelegt wurde. Hier finden sich Mauern, Grundrisse verschiedener Siedlungsepochen. Die ersten Relikte sind 4000 Jahre alt. Der grössten antiken Stätte Europas hat übrigens Sir Walter Scott in seiner Romantrilogie «Der Pirat» (Band 1) den Namen gegeben. In direkter Nachbarschaft zu diesem imposanten Gelände trifft man auch robuste Shetland-Ponys. Die Exkursionsleiterin, eine Lehrerin mit Leib und Seele, wusste auch von männlichen Wikingersitten und -festen (ohne Frauen) zu berichten und führte zu ihren Überraschungsgästen. Aus der Ferne konnte man in einer abgelegenen Bucht tollende Seehunde beobachten, die für Touristen ein Stelldichein geben, sofern diese ihnen nicht zu Leibe rückten…

 

 

4. Tag. Wieder ein Tag auf See. Und tatsächlich kam kurz mal die Sonne durch, ansonsten war es nachts zwar recht hell, doch die Mittsommernachtssonne wurde kaum gesichtet. Im Poolbereich (Deck 13) hatten sich allerlei Animationsgeister versammelt, um die Polartaufe zu feiern, die dann unter Führung Neptuns in einer Polonaise endete. Der nördliche Polarkreis, also der nördliche Breitengrad 66˚33‘, wurde freilich erst gegen Mitternacht überquert.

 

 

5. Tag. Ankunft in Akureyri. Zu Fuss war’s nicht weit bis zum Zentrum. Die mit knapp 18 000 Einwohnern viertgrösste Stadt Islands liegt nur 50 km südlich des Nördlichen Polarkreises. Die imposante, evangelisch-lutherische Basaltkirche auf einem Hügel wurde 1940 gebaut, ausgeschmückt mit einem Geschenk der Coventry-Kathedrale, einem wunderbaren Fenster. Der isländische Staatsarchitekt Guðjón Samúelsson hat übrigens auch die himmelwärts strebende Hallgrímskirkja, Wahrzeichen Reykjaviks, 1937 geplant und 1986 vollendet. Man sagt auch, auf Island (Eisland) gibt es die beste Eiscreme. Wir machten die Probe aufs Exempel und schleckten ein wunderbares Glacé, made in Iceland!
Mittags startet dann ein Ausflug zum Wasserfall der Götter, dem Godafass. Hier soll ein Gode, Gerichtssprecher des Alpingi (Parlament), seine heidnischen Götterbilder ins Wasser geworfen haben, um so die Bekehrung zum Christentum zu manifestieren. Einfache Handlung grosse Wirkung. Die nicht besonders inspirierende Busfahrt endete im Botanischen Garten von Akureyri. Nett, aber nicht notwendig. Wer frühzeitig buchte, eventuell vor der Reise, konnte sich nach Húsavík auf Walsafari begeben. Zeugen berichteten von wahren Wal-Schauspielen mit Gesang.

 

6. Tag. Stürmische See. Ein Anlegen an der Westküste in Isafjordur mit den Tenderbooten war nicht möglich und so musste die nördlichste Hauptstadt der Welt, Reykjavik, direkt angesteuert werden. Das erlaubte einen kleinen individuellen Landausausflug am Abend. Unübersehbar wuchtet sich ein kubisches Glas- und Betongebäude in die Höhe, die Harpa (Harfe). Das klotzige Konzert- und Kongresszentrum wurde trotz Krisenzeit 2011 vollendet, nach den Plänen des Dänen Henning Larsen. Der isländische Lichtkünstler Olafur Eliasson schuf die phantastische Fassade mit wabenförmiger, an Basaltsteine erinnernder, schillernder Glasstruktur. Erst umstritten, heute aber längst als spektakuläres Zeichen der Moderne und einstigen Booms akzeptiert. Einem berühmten Wikinger begegnet man vor der wie ein Schiffsbug aufragenden Kirche Hallgrimskirkja, dem Denkmal des Nordamerika-Entdeckers Leif Eriksson. Der Name Reykjavik (Rauchbucht) steht für die wichtigsten Energiequellen des Inselstaates: Wasser und Geothermie. Atomkraft ist in Island kein Thema. Dampf- oder Geothermalkraftwerke versorgen die Bevölkerung mit Heisswasser. Rund 80 Prozent des Strombedarfs werden durch Wasserkraft gedeckt. So kann man Wohn- und Gewächshäuser, selbst Trottoirs im Winter günstig heizen und sich (fast) unabhängig von Erdgas und Erdöl fühlen.

 

 

7. Tag. Reykjavik (120 000 Einwohner) – ein Tag wäre die Hauptstadt sicher wert, in der rund zwei Drittel der Isländer und Isländerinnen leben. Aber als Kreuzfahrer ist man zeitlich eingeschränkt und wählt die Ganztageserkundungstour in der Region Reykjaviks, die Busexpedition «Der Goldene Zirkel». Von der Pearl-Panoramakuppel, über einem Sammelsurium von sechs Aluminiumtanks, in denen je vier Millionen heisses Wassers gelagert werden, hat man einen umfassenden Blick über die isländische Metropole. Dann geht’s hinaus aufs Land, das nur mit spärlichen Waldparzellen bedeckt ist. Weiden, Moosflächen, Wasserläufe und Berge beherrschen die Landszenerie. Die drei isländischen Landesfarben Weiss, Rot und Blau bedeuten übrigens Eis, Feuer (Vulkane) und Berge (eben nicht Wasser). Ganze Busladungen verteilen sich gegen Mittag rund um die doppelten Gullfoss Wasserfälle. Diese touristische Attraktion, zwei imposante Wasserkaskaden, verdankt man nicht nur der Natur, sondern auch rührigen Frauen, die erst das Gelände begehbar und Führungen machten. Sigriður Tómasdóttir, eine Bäuerin vom naheliegenden Brattholt Hof, kämpfte 1920 gegen eine englische Gesellschaft, die hier einen Staudamm errichten wollte. Ein ähnliches Projekt wurde 1977 abgelehnt. Der Wasserfall steht seit 1979 unter Naturschutz.
Eine weitere Etappe sind die Geysire und heissen Quellen im Heisswassertal Haukadalur. Einige Dampflöcher blubbern vor sich hin, aber nur einer stösst in schöner Regelmässigkeit, ca. alle zehn Minuten, eine heisse Fontäne aus, mal grösser mal bescheidener, der Stokkur. Schlusspunkt des Goldenen Zirkels bildet der Nationalpark Thingvellir (Þingvellir) Ein stiller malerischer Landstrich mit Wiesen, Gebüschen, Bächen und einer gewaltigen Felsenwand in der Altmännerschlucht wie von Trollen oder Riesen aufgeschichtet (dabei ist diese Formation Ausdruck der Erdplatten, die hier in grosser Tiefe aufeinanderstossen – aber das ist eine andere spannende geologische Geschichte). Hier tagte seit 930 einmal jährlich das isländische Parlament (Alpingi) quasi auf der grünen Wiese. Vom ältesten Parlament der Welt wurden Urteile gefällt, gesellschaftliche und politische Entscheidungen getroffen, nicht ohne Wein, Weib und Gesang, denn auch ein Heiratsmarkt fand statt, wird überliefert. 1380 fallen Norwegen und Island an Dänemark. Die dänischen Monarchen beschneiden ab 1662 die Rechte des Alpingi. 1800 wird das Alpingi abgeschafft, aber 1843 wieder eingeführt, und zwar in Reykjavik. Noch ein Wort zu den Isländern, nein nicht zu den Bewohnern, sondern zu den Pferden. Die speziellen Rösser beherrschen nicht nur wie üblich drei, sondern fünf Gangarten.

Sehr anschaulich ist dies im herben isländischen Kinodrama «Of Horses and Men» (Start im September 2014) zu erleben. Dabei wird man Augenzeuge von Sitten und Marotten, wilden Akten, vom harten, kargen Leben auf Island.

 

 

8. Tag. Auf hoher See Richtung Schottland. Manchmal erscheinen die Wellen durch die Froschaugenfenster in der Lounge mächtig bedrohlich. Mehr eine optische Täuschung. Das Wetter lädt nicht zum Sonnenbaden, eher zum Lesen auf dem kabineneigenen Balkon. Ein Kino fehlt, dafür präsentiert Claudia im Royal Theatre ein italienisches Konzert mit Gassenhauern. Anderswo kann man abends die Ohren satt hören, etwas gediegen bei Iryna und ihrem hübschen Trio Stravinsky, schlagerselig bei dem Duo Two Memory oder pfeffrig-popig bei der Men in Black Band.

 

 

9. Tag. Sonnenaufgang um 4 Uhr. Freundlicher Wetterempfang. Der Kreuzer legt in Kirkwall auf den Orkney Inseln an. Ein Spaziergang ins Dörfchen zur St. Magnus Cathedral mit Ursprüngen (romanisch) aus dem 12. Jahrhundert. Die imposante Kirche aus rotem Sandstein und die benachbarten Ruinen des Bischofspalastes sowie eines Renaissance-Gebäudes, des Earls Palace, atmen Geschichte. Spannend und blutig ist sie beispielsweise vom verratenen Märtyrer Earl Magnus, der sich für den Frieden in Orkney opferte. Orkney und die Kathedrale wurden 1468/86 schottisch und nach der schottischen Reformation eine presbyterianische Kirche.

 
10. Tag. Wieder auf See. Im Royal Theatre war ein «Blick hinter den Kulissen» angekündigt. Na ja, geboten wurde ein arg armseliger Lichtbildervortrag ohne bewegte Bilder. Informationen über Versorgung und Verbrauch (37 000 Eier pro Woche, 9000 kg Fleisch usw.), alles sehr schulmeisterlich. Da darf man im medialen Zeitalter doch ein bisschen mehr erwarten über Schiffsmanöver, Entsorgung, Personal (Nationalitäten, Geschlechter usw.). Unser Haupt-Kellner hiess übrigens Hugo und kam aus Honduras. Wir erfuhren von ihm mehr über seine Arbeitsbedingungen und Verdienste, Freizeit und Pläne. – Über die mehrheitlich trüben Tage auf See tröstete uns am Abend ein malerischer Sonnenuntergang über dem Meer.

 
11. Tag. Amsterdam. Unsere holländischen Mitkreuzfahrer schifften aus, wir hatten bis 14.30 Uhr Gelegenheit, Amsterdam zu erkunden und entschieden uns zu einem Besuch des renovierten Rijksmuseums. Eine Begegnung mit den alten Meistern von Vermeer bis Rembrandt. Amüsant, jahrelang hatte man gestritten, ob die Fietsefahren (Velofahrer) draussen vor bleiben. Denkste, Fussgänger wie Radfahrer können wie bisher mitten durchs Museum radeln oder spazieren. Und im Park vor dem berühmten Reichsmuseum drehten, tanzten oder verharrten Skulpturen von Alexander Calder (bis 5. Oktober 2014). Bei einem Abstecher an eine der Grachten fanden wir reihenweise Blumenstände mit Tausenden von Zwiebeln, aber auch Cannabis-Pflänzchen.

 
12. Tag. Es ist ein weiter Weg von Amsterdam zum Meer – vorbei Hafenanlagen, Lagerhallen, Schrottplätzen, aber auch Stränden und Idyllen. Zurück in der Nordsee, wo wie schon auf dem Kurs von den Orkney Inseln zahlreiche Bohrinseln leuchteten.

 
13. Tag. In Hamburg um 9.20 Uhr angelegt. Das Ausschiffen war gut organisiert und gestaffelt. Gleichwohl brauchte es ein bis zwei Stunden, bis das Gepäck im Transferbus versorgt war. Und dann begann für uns eine siebenstündige Stadtrundfahrt. Die just mal 90 Minuten Freiraum (eigenes Erkunden) für Individualisten bot. Für Hamburg-Kenner eine Tortur, weil man wieder mal wie Lemminge geführt und an die Tour gekettet war: Speicherstadt, Binnen- und Aussenalster, Durchfahrt Reeperbahn, Michel, Rathaus usw. aus dem Busfenster. Man kommt aus dem Programm nicht raus und war froh, zwei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein. Dennoch, Hamburg ist immer eine Reise wert.

 

 

 

L&K Buchtipp


«Insel des Eises, Insel des Feuers, Land der Gegensätze».

Island zieht alle in seinen Bann, die sich auf eine Begegnung einlassen. Über der Zauberinsel schwebt ein schattenhaftes Geheimnis. Wenn man die weiten Horizonte betrachtet, scheint die Zeit stillzustehen.

Marco Paoluzzo etdeckt Island 1991. Vom Reichtum der Insel in den Bann geschlagen, besucht er sie seither regelmässig. Der vorliegende Band präsentiert eine Arbeit, die im Laufe von 20 Reisen entstanden ist. Nach Island und North-Nord legt der Fotograf ein drittes Buch in Schwarzweiss über diese Region der Welt vor. Für ihn ist Island ein «Coup de coeur», das Gedicht eines wilden, rauen Landes, in dem Wind, Regen und Schnee treue Begleiter sind. Eine herrliche Einöde, in der Licht und Schatten in einer atemberaubenden schwarzen landschaft magische Augenblicke erzeugen.

 

Marco Paoluzzo wurde 1949 in Biel geboren, besuchte die Ecole de Photographie in Vevey und liess sich 1981 in seiner Heimatstadt nieder und arbeitete vorwiegend als Werbe- und Industriefotograf. Nach der Publikation seines ersten Buches über Island wandte er sich immer mehr der Reisefotografie zu. Seither bereist er für verschiedenen Zeitschriften die ganze Welt. Seine Bilder waren in zahlreichen Ausstellungen zu sehen und sind in Museumssammlungen in der Schweiz und im Ausland vertreten. Bis heute hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht.

 

 

Marco Paoluzzo
Iceland
my zen garden and other stories
Till Schaap Edition, Bern 2014
CHF 68. € 55.
ISBN 978-3-03828-009-5

NACH OBEN

Reportage


Buchtipp


Kolumnen/
Diverses