FRONTPAGE

«Ron Winkler: Buschbrände gegen mich selbst»

Von Angelika Overath

Zum neuen Gedichtband «Prachtvolle Mitternacht» von Ron Winkler

 

«Nichts mehr gefällt mir. / Soll ich / eine Metapher ausstaffieren / mit einer Mandelblüte? / Die Syntax kreuzigen / auf einen Lichteffekt» – so beginnt «Keine Delikatessen», eines der bekanntesten Gedichte von Ingeborg Bachmann; es war zugleich das letzte, das zu ihren Lebzeiten erschien.

Ron Winkler, Jahrgang 1973, nimmt darauf emphatisch Bezug, wenn er seinem neuen Lyrikband «Prachtvolle Mitternacht» einen zweiseitigen «Prospekt» voranstellt, der anhebt: «nicht mehr teilnehmen. nicht mehr jeden Abend / mit Tesafilm Blüten vor dem Verfall zu retten versuchen. / nicht mehr aufgeschnitten werden / von Müdigkeit oder Wachheit».

Aber anders als bei Ingeborg Bachmann sind diese Zeilen keine Absage an ein Schreiben, das als Luxus erkannt worden ist, von einem Ich das nun «mit dem ungereinigten Schluchzen» auskommen will.
Winklers apodiktisches «Nicht mehr» bleibt eine grosse paradoxe Anrufung der Poesie. Die über zwei Seiten hin aufgipfelnde Rede von der Nichtigkeit des dichterischen Tun und Wollens mündet in die Negation der Negation, in eine komplexe versteckte Bejahung: «und also zugleich keine Rose mehr. nicht mehr. und auch: nie / mehr: nie mehr / nicht». Zwischen Bachmanns Delikatessen und Gertrude Steins poetologischem Rosen-Rätsel, irgendwo angedockt beim hochgestapelten «siebzigsten Buch Moses» und dem «Schwielentheater östlich von Paul Celan», blitzen unheilig heilige Kollegen auf als Kronzeugen für das absurde Geschäft poetischen Blühens.

 

Poetischer Pyrotechniker

Nun ist Ron Winkler weniger ein behutsamer Gärtner als ein risikobereiter Pyrotechniker, der schnell einmal Feuer legt und dann selbst zu staunen scheint, was da so alles am Firmament seiner Verse losgeht. Und das ist einiges. «Schreibe ich, erzeuge ich Unterholz / gegen die Wirklichkeit / aber auch Buschbrände gegen mich / selbst».

Winkler zündelt am Schock, an der blitzartig provozierten Phantasie, am explosiven Flirt mit dem höheren Unsinn auch. (Freilich wäre das Was-soll-das-bedeuten Verhandlungssache; aber sind Lyriker Laienprediger?) So vertauscht er Buchstaben: «Schnocken aus Flee»; schreibt Wörter um: «zugefremdelt» (statt: angefreundet); spielt Bäumchen-wechsel-dich mit Bezügen: «in einem anderen Aussen werden Lichter / mit Tannen geschmückt».

Er nimmt ein Wort aus dem logischen Zusammenhang und ersetzt es mit einem, das gleich anlautet, etwa: «es gibt Früchte, auf die gibt es keine Antwort» (statt: Fragen). Oder auch: «trotzdem ist jeder See der Tee / des Herrn». Und manchmal baut er, wie im poetisch weissen «Schnee der Weisen», ein ganzes Gedicht über ein Joker-Wort auf: «es fiel Milch. / und am Horizont brach Milch an. / und jemand tat Milch». Der «Tanz um die goldene Milch» schliesst mit einem «Milchbuben», der «Milch» aussah. Dann wieder komponieren «Fischer» um der Assonanz willen «Fittiche». Das erinnert an Morgenstern, öfter an Schwitters und an Schreibaufgaben aus Hildesheim oder Leipzig, wo man einen Satz wie «dieses anheimelnde Hotel steht im Zenit / meiner Abwesenheit. / durch die Fenster kann man das sehen» weiter variieren könnte auf der Suche nach dem verlorenen und deshalb neu zu entdeckenden Raum.

 

Auf dem Meer der Memoria

Ron Winkler fragmentiert, collagiert, kappt die Perspektiven der Vorstellung. Und wo er sich nicht zu sehr auf dem aristokratischen Anwesen des reinen Sprachmaterials vergaloppiert («Sieben Tage im Leben des Regenten») und «an einen neuen Satz» grenzt, «den ich als Prinz beginnen als Kaiser beenden muss», wo er sich also ein bisschen mehr am Zaumzeug der Wirklichkeit festhält, da folgt ihm der dankbare Leser leichter. Gerne lässt er sich mittragen, zurück vielleicht in die Kindheit (in der vergangenen DDR), die nun noch einmal Fahrt aufnimmt über dem Meer der Memoria am «Kahnbettzimmerfenster» mit der «Überseegardine», bis der Schlaf kommt, «das Lee der Welt». (Und ein «Töchterchen» bleckt – hinreissender Worteinfall! – «jedem/ der es sah seinen Fünfzähneplan» entgegen.) Wenn der Autor mit dem Wort auch die Welterfahrung ernst nimmt, gelingen ihm kostbare Verse der Liebesnähe («Erste Oase Plural») oder eine Ich-Enthebung als kleine Wasser-Etüde («An der Elbe, beinah»), die die Bewegung des Schwimmens («schönes falsches Klettern») evoziert, wo die Wellen das Ich «elben lassen. weithin».

 

(Erstveröffentlichung NZZ, Sonderbeilage, 5. Oktober 2013, mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

 

Ron Winkler schloss das Studium der Germanistik und Geschichte mit einer Monographie zu Durs Grünbein ab. Er verfasst in erster Linie Lyrik, die in mehreren Einzeltiteln sowie zahlreichen Anthologien (u. a. Der Große Conrady, Echtermeyer, Lyrik von JETZT und in mehreren Ausgaben des Jahrbuchs der Lyrik) und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurde. Er übersetzt Lyrik aus dem Englischen und war Gründungsherausgeber der Literaturzeitschrift «intendenzen». Von 2003 bis 2005 edierte er im Online-Kulturmagazin satt.org die Anthologie Lyrik.Log. Ron Winkler lebt in Berlin.

 

 

Ron Winkler
Prachtvolle Mitternacht
Gedichte.
Schöffling-Verlag, Frankfurt am Main 2013
100 S., CHF 29.90

ISBN: 978-3-89561-216-9

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