«Rotterdam: Übernachten im Ozeanliner»
Von Ingrid Schindler
Mit über 400 Millionen Tonnen umgeschlagener Güter ist Rotterdam der grösste Hafen Europas, der drittgrösste Hafen der Welt – und es ist noch viel mehr als Hafen. «Architouren» per Velo, Abtanzen im Öko-Club, Übernachten im Kraftwerk und im Ozeanliner sind angesagt.
«Ordentlich watt los!» kommentiert ein Besucher aus Berlin den mitternächtlichen Run aufs Watt. Die Partygänger stehen Schlange, um in Rotterdams Öko-Club eingelassen zu werden. Offiziell nennt sich das Watt erster Sustainable Dance Club (SDC) der Welt. Diese Bezeichnung verdankt es unter anderem einen plexigläsernen Spülkasten. Betätigt man die Spülung, sieht man, wieviel Wasser den Jordan hinunter rauscht und wie sich der Kasten leert. Das Sichtbarmachen soll das Denken ans Energiesparen und konkret den Druck auf die Sparspülung fördern, sagt Ted Langenbach. Der hochgewachsene, schlaksige Herr mit dem Hütchen ist Hollands Partyguru und hat als Creative Director das Watt mit auf den Weg gebracht.
Energie abgeben. Im Watt nimmt man die Sache mit dem Strom ernst. Das Regenwasser vom Dach des Clubs wird über eine sogenannte Wasserwand in die WCs geleitet. Wo es geht, spart man Energie, Wasser und Abfall ein, an den Bars, beim Licht und sogar auf dem Dancefloor. Ein mit 24 m relativ kleiner, mobiler Tanzboden, der nicht immer im grossen Saal, der 1‘400 Leute fasst, aufgebaut ist, ist der Hauptgrund des Andrangs. Die Bewegungsenergie der Tanzenden wird über Generatoren direkt in Strom umgewandelt, der den Boden leuchten lässt. „Je mehr Moves, desto heller der Boden“, sagt Langenbach, der betont, dass das Watt bei aller Nachhaltigkeit in erster Linie Dance Club und Pop Stage sein will.
Viel mehr als Hafen. Rotterdam bietet eine der buntesten Discoszenen der Welt. Die Arbeiter- und Hafenstadt will aber nicht nur Party- und Eventcity sein, in der sich die Festivals jagen, sondern ein Mekka der modernen Architektur. Darauf setzt auch Rotterdam Tourismus, nachdem sogar die New York Times vor ein paar Jahren attestierte: « Rotterdam wird für die Architektur mehr und mehr zu dem, was Paris für die Mode und Los Angeles für das Entertainement ist. » Das frühere Image der hässlichen Hafenmetropole wird der architektonischen Boomtown nicht mehr gerecht, sagt Alexandra Klaus, Pressereferentin des Niederländischen Büros für Tourismus & Convention.
Maashattan. Die Stadt an der Maas präsentiert sich als Spielwiese für internationale Star-Architekten. Behaglich und pittoresk wie die historischen Stadtkerne Amsterdams und Den Haags ist Rotterdam nicht. Von der alten Bausubstanz steht nicht viel. Flächenbrände nach dem verheerenden Bombardement der Deutschen am 14. Mai 1940 haben fast die ganze Innenstadt zerstört. « Die Stadtväter haben sich nicht für einen Wiederaufbau nach altem Muster entschieden, sondern auf Neues gesetzt und Architekten aus aller Welt eingeladen », referiert Stadtführer Joep Kuys. Der Architekturstudent jobbt als ‚ArchiGuide’ und lotst Besucher per Velo durch die Stadt. Der ideale Weg, um Rotterdams verstreute Bauwerke der Moderne anzusteuern. Vor allem im renovierten Lloydsqwartier, dem Medienviertel, und auf der Halbinsel Kop van Zuid, wo die Wege zwischen den Hochhäusern weit sind. Hier recken sich Norman Fosters World Port Center, Renzo Pianos Telekomhaus, Mecanoos Montevideo-Turm und Rem Koolhaas Hochhauskomplex De Rotterdam in die Höhe, die Skyline des Manhattans an der Maas verändert sich dank der regen Bautätigkeit ständig.
Zwischen den Klötzen befinden sich Publikumsmagneten, die für Leben sorgen: das Las Palmas, Hollands grösstes, trendiges Fischlokal, das populäre Hotel New York, das sich im früheren Hauptsitz der Holland Amerika Linie etabliert hat, oder das Café Rotterdam, das in der ehemaligen Wartehalle der Reederei Platz gefunden hat. Die grossen Glasfronten des Cafés geben einen vorzüglichen Blick auf van Berkels Erasmusbrücke frei, die den multikulturellen Süden der Stadt mit dem wohlhabenden Norden verbindet.
Wie sich Auswandern anfühlt. Mit wenig Fantasie stellt sich im Restaurant des Hotel New York ein prickelndes Gefühl ein, und erst recht in den ehemaligen Direktionszimmern der Reederei darüber, wenn man denn eines ergattert. Das Hotel ist gut gebucht und jeder, dort isst oder nächtigt, versteht warum. Die maritime Atmosphäre ist einmalig, die Aufgeregtheit, die erwartungsvolle Spannung und Hoffnung auf ein neues, besseres Leben in Amerika, die Aufbruchsstimmung, sie hängt in den heiligen Räumen der holländischen Ozeanliner förmlich unter der Decke. Jeff Wall hat den Sehnsüchten der Auswanderer mit seiner Installation Lost Luggage Depot vor dem Backsteingebäude des New York ein Denkmal gesetzt.
Kurs auf Kunst. Die mondäne Welt der Luxusliner kann man einen Pier weiter südlich erschnuppern: Am Quai von Kap van Katendrecht liegt die SS Rotterdam, das einstige Flaggschiff der Holland-Amerika-Linie, für immer fest vertäut vor Anker und ist seit einem Jahr ein ungewöhnliches Vierstern-Hotel. Das Schiff ist von Heck bis Bug im Originalstil der 50er Jahre gehalten und restauriert, die Atmosphäre einmalig, der Blick auf die Skyline der Stadt grandios und der Preis günstig. Deshalb liegt eine Fahrt mit dem Amphibienbus von Splash Tours drin, der von hier aus Kurs aufs Nordufer der Nieuwen Maas nimmt. Dort sieht die Stadt ganz anders aus. Pittoresk, idyllisch und teilweise überzuckert, vor allem im westliche Handelsterrain der reichen Kaufleute und Reeder.
Ernüchterung. Das Niederländische Architekturinstitut NAI holt den Betrachter in die Moderne zurück und zeigt am Museumshaus Sonneveld Huis, was funktionelles Neues Bauen im Holland der Dreissiger Jahre bedeutete: lichtdurchflutete, in Orange, Beige, Bronze und Blattgrün gehaltene Räume, viele Fenster und Türen, die das Draussen einbeziehen, keine tragenden Wände, Teppichböden, Stahlrohrmöbel, modernste Haustechnik und Komfort mit zentraler Lautsprecheranlage, Haustelefon, Klingelsystem, Massagedusche oder Kaminholzlift. Beim Einzug durften die Sonnenvelds nur ihre persönlichen Sachen in Koffern und einige wenige Bilder, Skulpturen und Fotos mitnehmen. Den Platz für die Bilder gaben die Architekten Brinkman und van der Vlugt vor. Das Ergebnis ist zeitlos schön – was man von Piet Bloms Kubushäuser, die sich am Rand des trostlosen Marktplatzes Blaak befinden, nicht unbedingt behaupten kann. Die Wände der Würfelkonstruktionen sind allesamt schräg und stellen normale Einrichtungskriterien auf den Kopf. Wie sich das Wohnen bei um 45 ° geneigten Wänden anfühlt, kann man in der Museumswohnung Kijk-Kubus nachvollziehen.
Batterien aufladen. Ebenfalls auf nicht ganz alltägliche Art übernachtet man in den zwei luxuriösen Designersuiten des Euromasts. Bei „lekker Wetter“, wie man in Holland sagt, ist der Ausblick von dem insgesamt 185 m hohen Turm über die Stadt und den Hafen grandios. Keinen Ausblick bieten dagegen die meisten Zimmer des Designhotels Stroom. Dafür kann man mit Beamer fernsehen und ausgiebig baden. Die Hotelplaner bauten XXL-Bäder und Doppelduschen ein, weil der Gast die meiste wache Zeit im Bad verbringe. Ob bei dem aufregenden Kulturangebot und Nightlife in Rotterdam wirklich Zeit für Maxi-Bäder bleibt, ist fraglich. Aber für ein gemütliches Frühstück im Bett sollte man sich auf jeden Fall Zeit nehmen. Denn das Frühstückstablett ist bestens bestückt und die hervorragenden Coco-mat-Matrazen so bequem, dass man auch nach einer kurzen Nacht im Stroom seine Batterien voll aufladen und nachts im Watt dann wieder Energie zur Stromerzeugung auf der Tanzfläche abgeben kann.
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