Fotos © Rolf Breiner
«Hakuna Matata» – Erkundungen auf Sansibar»
Von Rolf Breiner
Ein magischer Name: Sansibar. Im Roman «Sansibar oder der letzte Grund» von Alfred Andersch wird der Name zum Synonym von Sehnsucht, Ferne, Freiheit in den Träumen eines Schiffsjungen. Die Insel im Indischen Ozean, gut 35 Kilometer vor der ostafrikanischen Küste (Tanganyika) entfernt, besitzt schier endlose, unberührte, weisse Sandstrände.
Sansibar war jahrhundertelang wichtiger Umschlagplatz für den Sklavenhandel bis um 1900. Die Insel hat zwar ihre Unschuld verloren, ist gleichwohl ein wunderbares Traumziel für Begegnungen mit Land, Meer und Mensch, für Taucher, Strandgänger und Sonnenhungrige. Noch sind keine störenden Auswüchse zu spüren, keine Gettoisierung, kein aufdringliches Beach-Business, weisse Sandstrände, wunderbare Ferienresorts, aber auch ein marodes Strassensystem und eine ärmliche Landbevölkerung, die vor allem von der Landwirtschaft (Reis, Gewürze, Kokospalmen) lebt.
Im Roman «Sansibar oder der letzte Grund» von Alfred Andersch wird der Name zum Synonym von Sehnsucht, Ferne, Freiheit in den Träumen eines Schiffsjungen.
«Aber, dachte er, man muss doch hinaus können, es ist unerträglich, dass man Jahre warten soll, um etwas zu sehen zu kriegen, und selbst dann ist es noch ungewiss. Er zog eine seiner Landkarten hervor und breitete sie aus, er hatte den Indischen Ozean erwischt, und er las die Namen Bengalen und Chittagong und Kap Comorin und Sansibar, und er dachte, wozu bin ich auf der Welt, wenn ich nicht Sansibar zu sehen bekomme».
Der junge Bursche, der hier von Entdeckungen träumt, ist ein Schiffsjunge in einem Fischerdorf an der Ostsee. Man schreibt das Jahr 1937, er will einfach weg, weg von Fischfang und Käpt’n Knudsen. Und er hat gute Gründe, das Kaff zu verlassen: Hier ist nichts los; Rerik (das Dorf) und die See hatten seinen Vater getötet, und Sansibar bedeutet Ferne, Freiheit. «Sansibar oder der letzte Grund» heisst der Roman von Alfred Andersch, erschienen 1957 (Walter Verlag, Olten, heute im Diogenes Verlag). Vier Menschen, die fliehen wollen: der Schiffjunge, der kommunistische Ex-Funktionär Gregor, die Jüdin Judith und «Der lesende Klosterschüler». Beim letzteren handelt es sich um eine Skulptur von Ernst Barlach, die Pfarrer Helander vor den Anderen, gemeint sind die Nazischergen («Entartete Kunst»), schützen will und auf die Reise schickt. Dieser Roman ist so aktuell wie vor 60 Jahren: Flüchtlingsschicksale gestern und heute.
Eigenartig, dieser Titel «Sansibar oder der letzte Grund» fiel uns zu allererst ein, als wir die Reise auf die Insel vor der ostafrikanischen Küste planten. Sansibar, dieser Name hat etwas Magisches, Fernes, Sehnsüchtiges. Das erwähnte Buch hat freilich nichts mit der wirklichen Insel zu tun.
Das trifft auf den Roman vom Schweizer Lukas Hartmann «Abschied von Sansibar» (Diogenes Verlag, 2013) schon eher zu. Er schildert das Schicksal der Prinzessin Salme von Sansibar, die sich 1866 in einen Hamburger verliebte, vom Islam zum Christentum konvertierte und mit ihm nach Deutschland floh. Es ist auch die Geschichte ihrer Kinder, der Machtspiele, Händel und Kämpfe europäischer Mächte um Kolonien in Ostafrika. Sansibar (englisch: Zanzibar) heute – nebst den Nebeninseln Unguja und Pemba ist das Eiland etwa so gross wie das Grossherzogtum Luxemburg, gut 35 Kilometer vom Festland (Tanganyika) entfernt. Die Inseln bilden einen halbautonomen Teilstaat und gehören seit 1964 zur Republik Tansania.
Von Zürich nach Zanzibar City
Es ist ein weiter Flugweg nach Zanzibar City, wo sich der Flughafen befindet. Je nach Zwischenstopps von Zürich aus in Omar, Nairobi oder Daressalam (Dar es Salaam) dauert es zwischen 12 und 15 Stunden oder mehr. Es gibt keine Direktflüge aus der Schweiz. Wir flogen Anfang Januar von Zürich via Nairobi (Reisezeit rund 15 Stunden). Der Flughafen Zanzibar ist (noch) nicht für grosse Touristenströme eingerichtet. Hier wird das Fluggepäck noch per Hand (ohne Fliessband) zu den Passagieren befördert beziehungsweise getragen. Den Hoteltransfer organisiert man bei Individualreisen am besten vorweg. Gegen Mitternacht angekommen, wurden wir in 45 Minuten zu unserem Resort an der Ostküste chauffiert: Neptune Pwani Beach Resort. Die parkmässig angelegte, sehr gepflegte Anlage im einheimischen Stil (seit 2007) entschädigte für den Flugmarathon. Pool, auch für Kinder, Spielplätze, grosszügige Restaurants (all inclusive), Bars, täglicher Beach-Volleyball, Coconut-Stand, Wellness, Spa und Strand, soweit das Auge reicht. Ferienherz – was willst du mehr! Ein Luxusresort unter indischem Management. Es bietet 154 sehr gross Schlaf-und Wohnräume mit Bad, Balkon, Kühlschrank und TV etc. sowie vier Suiten. Über 260 Angestellte – von Managern, Masseusen, Gärtnern, von Köchen bis zum Service- und Raumpflegepersonal – sorgen für paradiesische Verhältnisse. Wesentlich tragen natürlich die feinsandigen weissen Strände dazu bei. Kilometerlang kann man hier entlangspazieren, joggen oder mit dem Velo fahren. Man aalt sich unter Mangrovenbäumen und guckt fern – aufs Meer. Paradiesisch sind nicht nur Luft, Meer und Sicht, sondern auch die Geräuschkulisse. Ausser Meeresrauschen oder Wind und ab und an ein geziemend leises Moped/Vespa stört nichts die Ruhe – keine Lautsprecher, keine Radios, keine Motorboote, sieht man einmal vom Boot der Zanzibar Extrem Water Sports Station ab. Dort kann man eine viereinhalbstündige Diving and Snorkeling-Tour (30 $ Dollar) zu den Riffs buchen. Auffallend sind am Nachmittag bei Flut die Kite-Surfer – Drachenflieger auf Wasserski. Manche Profis führen ganz spontan spektakuläre Sprünge und Wendungen vor (keine Show).
Ein Bummel am Strand führt unweigerlich zum Kontakt mit Sansibari und Beach-Boys (Massai vom Festland), die einen ungefragt begleiten. Sansibari sind freundlich, aufmerksam, aber auch geschäftstüchtig. Eine kleine Wanderung ins Meer (bei Ebbe) kann schnell mal 5 Dollar oder mehr kosten. Unbedingt Preis von Anfang an abmachen oder Begleitung strikt ablehnen. Es lohnt sich, an den Seegras-Plantagen vorbei zu den Heimstätten von Seesternen zu laufen (am besten mit Badeschuhen). Der Ebbe- und Flutzyklus (27 Stunden) verschiebt sich täglich, eine Phase dauert sechseinhalb bis sieben Stunden.
Achtung: Die Seegras (Heilmittel) pflückenden Frauen verwahren sich gegen das Fotografieren. Ein Strandgang führt an zahlreichen Boutique-Buden vorbei. Neben typischen Souvenirs (Tücher, T-Shirts, Kleider, Schnitzereien, Muscheln etc.) kann man auch schöne, einheimisch hergestellte Taschen, Armreifen , Tücher/Kangas erstehen. Häufig findet man auch Galerien mit Bildern im Tansania-Stil (Tingatinga) und Tierporträts der afrikanischen Art. Ein mittelgrosses Simba-Bild (Löwe) auf Wunsch und Auftrag kostet um die 30 Dollar.
Die Hotels bieten natürlich geführte Inseltouren an. Aber man kann Privattouren auch selber abmachen. «Dr. Markus», so sein Künstler-Geschäftsname, ist einer der Einheimischen am Pwani-Strand, der verlässlich Autotouren mit Privatfahrern organisiert – zur Nordküste, zu einer Gewürzfarm oder nach Stone Town, dem historischen Zentrum der Insel. Mit 40/50 Dollar ist man dabei. Wichtig: Vorher den Preis aushandeln, dann gibt es keine Probleme, keine Diskussionen später, egal, ob der Ausflug länger dauert oder weitergeht. Auf «Dr. Markus» und seine wechselnden Fahrer ist Verlass. Selber ein Auto zu mieten, ist nicht anzuraten. Die Strassenverhältnisse sind prekär und die Pisten oft von Schlaglöchern durchsät, besonders gefährlich in der Dunkelheit: keine Seitenstreifen, Ochsenkarren, unbeleuchtete Velos, Fussgänger.
Ein Ausflug oder Ferienaufenthalt im Norden Sansibars lohnt: Im ehemaligen Fischerdorf Nungwi stösst man (nach einem Strässchen, das eher an Trampelpfade und ausgetrocknete Bachbetten erinnert) auf unendliche breite Strände – samt Resorts, Restaurants, Discos, Shops. kilometerlange Strände. Das Gefälle zwischen Ebbe und Flut ist weniger spürbar, die Tauchgründe sind ideal, aber auch die Geschäftigkeit ist kommerzieller, aufdringlicher. Die Fahrt von hier entlang der Küste nach Zanzibar City ist nicht weit, ca. eine halbe Stunde.
Gang durch die Altstadt und Kolonialgeschichte
Der Besuch der Hauptstadt und ein Gang durch die Altstadt (Stone Town) ist ein Muss. Mit einem Führer ist es leichter, sich im Gewirr der Gassen zurechtzufinden. Die Steinhäuser sind eng aufeinander gebaut, bisweilen zu schmal, um mit einem Auto durchzufinden. Dafür bleiben sie kühl und schattig. Shops zuhauf, empfehlenswert ein kleines Shoppingcenter, wo man einheimische Produkte (Gewürze, Textilien/Kangas, Kaffee aus Tansania, Holzarmreife etc.) zu fairen Preisen (ohne Feilschen) erstehen kann. Baufällige Häuser wechseln mit sanierten Bauwerken. 2000 erhob die UNESCO Stone Town zum Weltkulturerbe. Der Weg durch das Gassenlabyrinth führt unweigerlich zur Anglikanischen Kirche und dem ehemaligen Sklavenmarkt. In den Gewölben des benachbarten ehemaligen Klosters orientiert ein Museum über Sansibars Sklavengeschichte. Ein düsteres Kapitel – das offizielle Verbot für Sklavenhandel erfolgte 1873, doch der grausame Menschenhandel ging im Verborgenen bis ins 20. Jahrhundert weiter. Ein eindrückliches Mahnmal erinnert an das Leidensschicksal unzähliger verschleppter Menschen vom afrikanischen Kontinent, die zu Plantagenarbeitern, Knechten, Hausdienern oder Konkubinen verdammt waren.
1890 wurde Sansibar zum britischen Protektorat erklärt, der herrschende Sultan wurde zwar weiter geduldet, seine Befugnisse aber eingeschränkt. Die arabisch-indische Oberschicht blieb gleichwohl am Ruder. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Kolonie zum eigenen Staat. Die ersten Wahlen fanden 1958/59 statt. Staatspräsident Julius Nyere verfolgte einen eigenen, den sogenannten Ujamaa-Sozialismus. Im Januar 1964 kam es zur grossen Wutrevolution. Die arabischen Herrschaftscliquen und indischen Händler wurden verfolgt, vertrieben, enteignet. Die prunkvollen Häuser, von Nachkommen ehemaliger Sklaven besetzt, verkamen, und die marxistisch-sozialistische Machthaber hatten kaum Interesse, die historischen Gebäude zu erhalten. Das sieht heute anders aus, aber die Sanierungen und Restaurierungen gehen mühsam voran. Fahrer und Fremdenführer werden nicht müde, auf Bildungsstätte und Koranschulen auch auf dem Land hinzuweisen. Allein es fehlt oft an fähigen Lehrkräften.
Beim Bummel durch Stone Town fallen einem immer wieder die prunkvollen, kunstvoll geschnitzten Holztüren auf – auch Zeugnisse der Kolonialgeschichte. Grundsätzlich gibt es zwei Stile oder Formen: Die imposanten Türen mit bogenförmigen Türsturz deuten auf arabische Herkunft, die rechteckigen Türen gehörten wohl indischen Hausherren. Die spitzen Dornen dürften Relikte der Mogul-Herrschaft sein, dazumal sollten die Spitzen Kriegselefanten vor dem Eindringen in Städte hindern.
An der Hafenpromenade dominiert das so genannte House of Wonders die Szenerie, 1883 erbaut. Der Sultans-Palast soll seinerzeit das modernste Gebäude Ostafrikas gewesen sein, ausgerüstet mit elektrischem Licht, fliessendem Wasser, Toiletten mit Spülung und Fahrstuhl. Heute ist dort das Zanzibar National Museum of History and Culture beheimatet. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Wunderhaus findet sich das People’s Palace Museum, 1890 vom Sultan als Harem beziehungsweise Familiensitz erbaut. Dort wird nicht nur die Zeit der Revolution aufgearbeitet, sondern auch Prinzessin Salem gedacht, die hier zeitweise logierte. Einen Sansibar-Tag kann man wunderbar auf der Terrasse des Africa House Hotels beenden – Sonnenuntergang mit Blick aufs Meer, Hafen und Stone Town.
Als Gewürzinsel berühmt (seit dem 19. Jahrhundert), waren Nelken der Exportschlager. Auf einer Spice Tour kommt man den Gewürzen sehr nahe – bei kundiger Führung – Pfeffer, Muskatnuss. Chili, Vanille und mehr. Und wenn man auf der richtigen Farm landet, wird man am Ende der würzigen Erkundungen mit Hut und Krawatte aus Pflanzen belohnt.
«Jambo, Jambo» begrüsst man sich auf Sansibar. Das haben auch die Beach-Boys, die promenierenden Massa, immer drauf, die oft auch eine kleine Budenboutique betreiben. Als Fremdenführer sind die hochgewachsenen Strandläufer eher nicht zu empfehlen. Noch beliebter ist allerdings der Spruch «Hakuna Matata – Kein Problem». Mit dem Spruch begrüsst das Personal alle Gäste. Freundlichkeit wird hochgeschrieben auf der Insel mit rund 1,3 Millionen Einwohnern (2014). 95 Prozent der einheimischen Bevölkerung ist muslimisch, Frauen wie Mädchen tragen ohne Ausnahme Kopftuch oder Schleier auf dem Land, in der Stadt. Alle anderen stammen vom Festland (Tanganyika), aus Indien oder Indonesien. Sansibar, das war und ist ein Sehnsuchtsziel, damals für die vom Sultan, ihrem Bruder, geächtete Prinzessin Salme, heute für Reisende, Insulaner, Sehnsüchtler.
Sansibar oder Helgoland?
Sansibar – War das nicht einst deutsche Kolonie, hat diese Insel nicht etwas mit Helgoland zu tun, fragen sich manche Leser? Es gab tatsächlich eine historische Episode zu Bismarcks Zeiten. Das Deutsche Kaiserreich war erpicht darauf, Teil des Kolonialkuchens zu erhalten. Die Grossmächte einigten sich auf dem Berliner Kongress 1884 darauf, dass dem Reich Deutsch-Ostafrika zugebilligt wurde. Mit dem Sultan von Sansibar wurde ein Pachtvertrag geschlossen, doch die Insel blieb britisches Protektorat. Im Vertrag von 1890 verzichtete Deutschland auf koloniale Ansprüche in Kenia und im Königreich Bugunda. Im Tausch dafür wurde dem Deutschen Reich die Nordseeinsel Helgoland (seit 1807 britisch) zugestanden. Ironie der Kulturgeschichte: Als Hoffmann von Fallersleben das «Lied der Deutschen» (Deutschlandlied) auf Helgoland dichtete, war der Felsbrocken noch britisch. Das durfte doch nicht wahr sein. Doch von einem Tausch Sansibar – Helgoland, in manchen Geschichtsbüchern kolportiert, kann keine Rede sein.
Tipps und Informationen
Eine Reise nach Tansania/Sansibar will wohl geplant sein, Visum ist Pflicht. Empfehlenswert sind Gelbfieberimpfung sowie Impfungen gegen Hepatitis A und B, gegebenenfalls auch gegen Maleria-Prophylaxe.
Auf Sansibar werden Euros wie US Dollars akzeptiert. Währungsstand im Februar 2017: 10 Euro entsprechen 2400 Tansania Schilling (ZSH), 10 Franken 2200 TSH, 10 Dollar 2200 TSH.
Der Zeitunterschied zur MEZ beträgt zwei Stunden plus, während der Sommerzeit eine Stunde plus.
Oft werden Kombireisen (Safari) Tansania – Sansibar angeboten. Am besten lässt man sich im Reisebüro beraten.
Das beste Reisebuch auf Deutsch stammt von Sabine Heilig & Christina Gottschall «Sansibar – Mit offenen Augen durch die Welt», Reisehandbuch, Verlag Unterwegs 2016, 14.90 Euro.
Spezielle Reiselektüre: Lukas Hartmann «Abschied von Sansibar», Roman, Diogenes Verlag 2013, 34,90 Franken. Der Berner Autor beschreibt die Odyssee der Prinzessin von Sansibar, Emily Ruete, die 1866 aus Liebe zu einem Hamburger Kaufmann Palast und ihre Heimat Sansibar verliess, zum Christentum konvertierte und Heinrich Ruete heiratete. Sie hoffte bis zum Ende auf eine Rückkehr, Rehabilitierung und Erbschaft. Sie starb 1924, auch ihre Kinder bemühten sich vergeblich, um eine Aussöhnung mit dem Sultan von Sansibar. Hartmann verfolgt verschieden biografische Stränge (der Kinder) und schildert auch das historische Umfeld, besonders was Kolonialränke angeht. Der Roman über eine Lebenstragödie steckt voller Fakten, springt zwischen den Zeiten, taucht in Gesellschaft und Geschichte – und fordert die Geduld des Lesers.