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«Schweizer Schönheit»: Comedy zwischen Klamauk und Groteske

Von Ingrid Isermann

Die Welt eines unbescholtenen Bürgers gerät aus den Fugen, just an seinem 50. Geburtstag. Was passiert, wenn Mann aus der Rolle fällt? Der in Berlin lebende Autor und Film-Regisseur Dani Levy, geboren 1957 in Basel, hat erstmals im Schauspielhaus Zürich ein Stück inszeniert und einen Cocktail zwischen fröhlicher Melancholie und Tragikomödie gemixt.

Vorn auf der Bühne der frisch gestrichene weisse Gartenzaun, dahinter das propere Doppeleinfamilienhaus (variables Bühnenbild Henrike Engel), das Grillfest mit Gattin, Kindern, Eltern und Freunden zu seinem 50. Geburtstag steht bevor, an dem alles aus dem Ruder läuft.  Balz Häfeli (Michael Neuenschwander) erfährt, dass der geschniegelte neue Nachbar Max Brenner (Thomas Loibl) als Verteter der «new economy» den Posten in der Firma bekommt, den er anstrebte und seine Entlassung bevorsteht. Dessen Frau Lieselotte Brenner (Susanne-Marie Wrage) entwickelt Sympathien für Balz, packt ihre Koffer und möchte ihren heimlich schwulen Mann verlassen. Der Vater, Dr. Ueli Rohrer (Pierre Siegenthaler), TV- und mediengewandter, mit allen Wassern gewaschener  Bürgermeister und Lokalmatador – sein Konterfei prangt auf dem Plakat Seeblick mit Alpen «Grüezi Wohlstadt – hier bin ich dehei», das auf die perfekte Schönheit des Städtchens hinweist -, hat Sohn Balz mit der Schwiegertochter Rosa Häfeli betrogen.

 

Balz Häfeli hat von allem und allen die Nase voll und steigt aus, haut ab in seinen Gartenschuppen, wo er macht, wozu er Lust hat. Das durchaus auch in wortwörtlichem Sinne. Er entdeckt die Gitarre und die Literatur, ist jetzt mit Rucksack nur für sich selbst unterwegs und unterwirft sich keinen Regeln mehr. Häfeli sucht nach neuen Sinnwelten, was die Familie in Aufruhr versetzt. Seine Frau Rosa (Miriam Maertens) und die drei Kinder machen Ansprüche geltend und steigen ihm aufs Dach. Die Videokamera der Gothic-Tochter Vanessa (Dagna Litzenberger Vinet) dokumentiert das ganze Geschehnis. Mit dem jüngsten Sohn Fredi (Joshua Maertens) ergeben sich intime, heikle Momente anlässlich sexueller Probleme. Der älteste Sohn Urs (Johannes Sima) outet sich als Rechtspopulist. Als Muezzin-Gesänge und «Allah Akbar» aus der Gartenlaube erschallen, wird die Polizei von ihm und anderen besorgten Bürgern aufgeboten, er wird zum Störenfried, der weg muss: «Der Mann hat politisch noch etwas vor!», wenngleich sich auch widerständige «Ich bin Balz!»-Aufrufe manifestieren. Eine Psychologin wird in der Aufregung eingeschaltet, ein per Video zugeschalteter Professor (Dani Levy) doziert zur Seelenlage des Analysanden. Das Ungemach nimmt vollends seinen Lauf, als Häfeli einen neuen Staat «Vielleben» per Internet gründen will, wo man den Schweizerpass abzugeben hat.

 

Dani Levy nennt sein Stück eine «fundamentalistische Komödie», und den Zuschauern bleibt mitunter das Lachen im Halse stecken. Der Sitznachbar verzieht keine Miene, aus den hinteren Reihen dringen einige Lachkracher. So ganz auf den Leim gehen mag man dem menschlich sympathischen Protagonisten Häfeli bei allem Verständnis aber nicht. Allzu abwegig sind die Muezzin-Gesänge und ein Minarett im Garten. Das darf dann doch nicht sein. Wieviel braucht es, bis ein Mensch aus den Schuhen kippt, nur noch Latschen trägt und in fremde Welten abwandert? Und hört die Freiheit am Gartenzaun auf?

 

 

Die Schauspieler tun ihr Bestes und singen in Slapstick-Manier, was das Zeug hält: James Browns «It’s a Man’s Man’s Man’s World», schwungvoll intoniert von Miriam Maertens, das «Come together» von den Beatles oder das mitreissende «We are the Champions» von QueenAber die Rückkehr ist ein No-Go. Und eskalieren tut das Ganze auch. Es kommt zum Eklat und zum aberwitzigen Schlusspunkt: in gleissendem Licht erwacht und räsonniert der Protagonist, ob er sich schon im Himmel befindet, da streckt sich ihm vor der Wohnungstür eine Hand entgegen. «Ist das Gottes Hand», fragt er schüchtern, die aber antwortet: «Nur eine Hand», die er nun ergreifen kann oder nicht. Es bleibt ihm wohl nichts anderes übrig. Viel hat Dani Levy in sein Herzstück über die Schweiz und ihre Mythen hineingepackt. Die Gartenzwerge lassen schön grüssen.

 

 

 

 

Schauspielhaus Zürich im Pfauen
Schweizer Schönheit
Eine fundamentalistische Komödie
von Dani Levy
Uraufführung

Regie Dani Levy

Mit Michael Neuenschwander
Miriam Maertens
Johannes Sima
Carol Schuler
Dagna Litzenberger Vinet
Marc Baumann / Joshua Maertens
Thomas Loibl
Susanne-Marie Wrage
Pierre Siegenthaler
Margot Gödrös
Nicolas Rosat
u.v.a.
Premiere 20. Februar 2015
Veranstaltungsdaten: www.schauspielhaus.ch

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