William Shakespeare, Bild: © PD
Sarah Bernhardt als Hamlet, 1899, Bild: © PD
Das Geburtshaus William Shakespeare in Stratford-on-Avon, Bild: © PD
Das Globe Theater in London, das mit einer «Hamlet»-Aufführung durch die ganze Welt reist, Bild: © PD
«Shakespeare-Party im XXL-Format»
Von Marion Löhndorf
Ein Fest für Eingeweihte wird Shakespeares 450. Geburtstag nicht -, sondern eine Strassenparty für alle – vor allem an den Dichterorten Stratford-upon-Avon und dem Londoner Globe Theatre, das eine «Hamlet»-Aufführung durch die ganze Welt reisen lässt. Schon zu Lebzeiten war Shakespeare ein Star, und das hat sich bis heute nicht geändert. In diesem Jahr aber dreht sich das Shakespeare-Karussell noch schneller.
Die Veranstaltungen, die mit seinem Namen verbunden sind, mehren sich rasant, während es auf seinen runden Geburtstag zugeht. Denn England versteht sich aufs Feiern der Lieblinge der Nation. Ende April wäre der «Barde» 450 Jahre alt geworden. Sein Geburtsdatum ist bekanntlich nicht genau auszumachen. Fest steht nur, dass er am 26. April getauft wurde. Seinen Geburtstag verortet man traditionellerweise auf den 23. April, der zum nationalen «Shakespeare Day» in England erklärt wurde. Ein arbeitsfreier Tag ist das nicht, aber ein Gedenkdatum. Zufällig und passenderweise koinzidiert der Zeitpunkt auch mit dem Ehrentag des englischen Nationalheiligen, Saint George, und dem United Nations‘ World Book and Copyright Day, der das Datum gleich mehrfach besetzte: An einem 23. April starb Shakespeare auch, ebenso wie Cervantes und Inca Garcilaso de la Vega, alle im Jahr 1616. Zufällig ist es zugleich der Geburts- oder Todestag von Maurice Druon, Halldór Laxness, Vladimir Nabokov, Josep Pla und Manuel Mejía Vallejo. Aber das ist in England derzeit eher nebensächlich, ebenso wie der 450. Geburtstag von Christopher Marlowe, der im gleichen Jahr wie Shakespeare, 1564, geboren wurde. Nur ein Autor der Tageszeitung «The Guardian» merkte diese Leerstelle im Festkalender nachdrücklich mahnend an.
Strassen- und Familienfest
Schon an «normalen» Shakespeare-Geburtstagen werden an seinem Geburtsort, in Stratford-upon-Avon, Festzüge veranstaltet: Die Glocken der Holy Trinity Church läuten und der Bürgermeister führt eine Prozession zu Shakespeares Grab an, die aus Musikbands, örtlichen Würdenträgern, kostümierten Schauspielern, Morris-Tänzern und den Schülern und Lehrern der lokalen Schulen besteht. Ganz in diesem Stil, nur im XXL-Format, wird England – weitgehend – den 450. Geburtstag seines populärsten Dichters der Vergangenheit begehen: als eine Art Strassen- und Familienfest. Stratford-upon-Avon hingegen nimmt für sich dabei in Anspruch, gewissermassen «Party Central», die Hauptstadt der grossen Shakespeare-Sause, zu sein.
Statt der Konzentration auf den üblichen 23. April, der in diesem Jahr auf einen Mittwoch fällt, verdichten sich die Feierlichkeiten zum 450. Geburtstag um dieses Datum herum einfach nur dramatisch. Doch eigentlich ist das ganze Jahr 2014 ein Shakespeare-Jahr. Laut Website der Stadt werden Tausende von Zuschauern aus aller Welt die Strassen von Stratford-upon-Avon säumen, um die grosse tausendköpfige Geburtstagsparade zu verfolgen. Mit dabei sein werden der Shakespeare Birthplace Trust, die sich nicht zuletzt um die mit Shakespeare verbundenen Häuser in Stratford kümmert und die Royal Shakespeare Company, die sich von jeher um sein Erbe in der Theaterpraxis kümmert. Einen ganzer Tag voll «Entertainment für jedermann» sieht auch diese Institution vor, inklusive Kinderparties. Zu einigen Veranstaltungen lädt die Royal Shakespeare Company gratis ein (Bühnenkämpfe, Singen und Stimmtraining können zum Beispiel unter Anleitung der berühmten Truppe geübt werden). In Familienworkshops lässt sich lernen, wie ein Kostümbildner Blut und Wunden zu kreieren oder wie ein Schauspieler Shakespeare zu rezitieren. Nicht unentgeltlich ist hingegen ein Besuch der Geburtstagsaufführung der Royal Shakespeare Company, Henry IV, 2. Teil. Von Mittags bis in den Nachmittag hinein können Besucher Shakespeare-Sonette auf einer Fähre lauschen, vorgetragen von Schauspielern der Royal-Shakespeare-Company.
Ein ähnliches Bild wird sich im Londoner Globe Theatre an der Themse bieten: Shakespeares Geburtstag wird auch dort als «Free Family Day» begangen. Vielleicht um den Feierlichkeiten in Stratford-upon-Avon nicht in die Quere zu kommen hat sich das Globe, das ohnehin im Zeichen der quasi pausenlosen Huldigung des Dichters steht, für den 21. April als Höhepunkt seiner Feierlichkeiten entschieden. Da das Globe aber, neben der Royal Shakespeare Company, einen unausgesprochenen Anspruch darauf erhebt, als führend im Geschäft der theatralischen Shakespeare-Vermittlung zu gelten, musste sich das Haus zum Ehrentag etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Beginnend mit Shakespeares Geburtstag wird «Hamlet» in einer Produktion des Globe Theatre um die Welt touren. Kein Land solle dabei ausgelassen werden, entschied das Theater. Dessen Federführende sind der Überzeugung, dass jede Nation von Hamlets Gegenwart profitiere, ungeachtet seiner Regierungsform. Das Stück sei schliesslich im England James I entstanden, «einem von Spannungen zerrissenen Land, regiert von einem repressiven und gelegentlich gewalttätigen Regime».
Sechzehn Schauspieler werden mit Hamlet im Gepäck um die Welt reisen. Zwei davon, der aus Nigeria stammende Ladi Emeruwa, und Naeem Hayat, der im Londoner East End aufwuchs, werden sich die Rolle des Hamlet teilen. Alle anderen Rollen, männliche und weibliche, werden rotierend vom Ensemble übernommen. Nicht weit vom Globe entfernt, am anderen Ufer der Themse, ist der Treffunkt für Spaziergänge durch Shakespeares (und Dickens‘) London: damit werden gleich zwei der grössten – oder populärsten – literarischen Heroen des Landes auf einem Weg gewürdigt, auch wenn Jahrhunderte – und auch sonst einiges – zwischen ihnen liegen. Aber am Geburtstag englischen National-Schriftstellers sieht man das nicht so eng.
Im Spiegel der Zeiten
Etwas fokussierter gedenkt das Victoria & Albert Museum des Dichters. Bis Ende September wird dort eine Installation zu sehen sein, die den anhaltenden Einfluss des Autors untersucht. Dabei sind Stücke aus der hauseigenen Sammlung zu sehen und Interviews mit Shakespeare-Praktikern zu hören. Kokett nennt sich die Schau (der Eintritt ist frei): «Shakespeare: Greatest Living Playwright». Da werden ein Foto von Sarah Bernhardt als Hamlet (1899) gezeigt und rote Schuhe, die der Schauspieler Henry Irving 1877 als «Richard III» trug: einer der Absätze war höher als der andere, um ihm das Hinken des Königs zu erleichtern. Die feine Zeichnung eines Bühnenbilds von Philippe James de Loutherberg (1772) ist zu betrachten, ebenso wie Oliver Messels phantasievoller Kopfschmuck, den Vivien Leigh 1937 als Titania im «Sommernachtstraum» trug. Alles in allem verspricht Shakespeares runder Geburtstag in England keine weihevolle Veranstaltung mit intellektuellem Gepräge zu werden, und wenn es solche Veranstaltungen irgendwo geben sollte, dann werden sie jedenfalls nicht an die grosse Glocke gehängt.
(veröffentlicht in der NZZ am 11.4.2014, mit freundlicher Genehmigung der Autorin)
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