FRONTPAGE

«Steve McQueen: Der grosse Sinnestäuscher»

Von Florian Weiland-Pollerberg

 

 

Rostflecken auf der Freiheitsstatue, gefallene Irakkriegssoldaten auf Briefmarken. Das Schaulager Basel zeigt das irritierende Werk des Videokünstlers und Regisseurs Steve McQueen.

Wir umkreisen die Freiheitsstatue in New York. Das Bild ist verwackelt. Die Aufnahmen stammen aus einem fliegenden Helikopter. Der ist nicht zu sehen, doch das Geräusch der Rotoren ist ohrenbetäubend. Static, ein 7-minütiger 35mm-Film, eröffnet die Steve McQueen-Ausstellung im Basler Schaulager. Ein irritierender Auftakt, scheint es sich zunächst lediglich um Sightseeing-Aufnahmen zu handeln.
Doch die Kamera ist unerbittlich. Die Stadt rückt schon bald in den Hintergrund. Die Freiheitsstatue wird in Großaufnahme gezeigt, in solcher Detailschärfe, dass die Rostflecken zu erkennen sind. Amerikas Symbol Nummer 1 ist in die Jahre gekommen.
Static wird von zwei Seiten auf eine frei im Raum hängende Leinwand projiziert. Beim Herumgehen kann der Betrachter die Bewegung des kreisenden Helikopters nachvollziehen. Ein faszinierendes Gefühl. McQueen überlässt bei seinen Ausstellungen nichts dem Zufall. Penibel genau achtet er darauf, wie seine Filme präsentiert werden.
McQueen, 1969 in London geboren, 1999 mit dem renommierten Turner-Prize geehrt, hat als einer der wenigen den Sprung von der Kunstszene auf die große Kinoleinwand geschafft. Seine Spielfilme Hunger (2008) und Shame (2011) wurden mehrfach ausgezeichnet. Auch sie sind im Rahmenprogramm der Ausstellung zu sehen, ebenso wie einige fotografische Arbeiten des Künstlers. Das Herz der Schau bilden aber rund 20 Videoarbeiten und Kurzfilme. Es scheint, als brauche der britische Künstler das bewegte Bild, um seine erzählerischen Qualitäten entfalten zu können.
Das Museum kokettiert damit, sich in eine «Kinostadt» verwandelt zu haben, in der ausgehend von «zentralen Plätzen» einzelne Filmkojen abgehen. Der zentrale Raum wird von drei Frühwerken McQueens beherrscht. Sie laufen parallel auf einer dreiseitigen Projektionsfläche und entfalten dadurch eine starke Präsenz.
Bear (1993) zeigt den Kampf zweier nackter Männer, eine verstörende Performance zwischen roher Gewalt und erotischer Balgerei. Five Easy Pieces (1995) besticht vor allem durch die ungewöhnlichen Blickwinkel. Der Film ist mal aus starker Untersicht aufgenommen, dann wieder aus der Vogelperspektive. McQueen ist – nicht nur in dieser Arbeit – auch selber im Bild. Am Ende des Films uriniert er auf die Kamera.
In Just Above My Head (1996) dominiert eine große Leerstelle. Ein wolkenverhangener Himmel beherrscht den Großteil des Bildes. Nur am unteren Bildrand kommt, angeschnitten und in extremer Untersicht, ein Mann ins Blickfeld. Die Kamera versucht, mit seiner Bewegung Schritt zu halten. Paradoxerweise muss man nach unten schauen, um zur Figur hochzublicken.
Je länger man hinsieht, desto mehr Gemeinsamkeiten fallen zwischen den drei Filmen auf. Alle kommen ohne Ton aus. McQueen inszeniert in vielen Videos die Stille, das Schweigen. Die Geräusche sind, falls überhaupt vorhanden, auf ein Minimum beschränkt. In Giardini, einem 30-minütigen Film, den McQueen für die Biennale in Venedig schuf und der das verlassene Biennale-Gelände im Winter zeigt, hören wir zum Beispiel nacheinander Kirchenglocken, Regentropfen und das entfernte Johlen von Fußballfans. Es sind ausgewählte, vereinzelte Geräusche.
McQueen spielt immer wieder gekonnt mit den Erwartungen des Publikums. Bei mehreren Arbeiten werden Augen und Ohren gezielt in die Irre geführt. Die Augen sehen nicht länger das, was die Ohren hören. Ein netter Effekt, den der Künstler allerdings manchmal überstrapaziert.

 

 

Auch mit Leerstellen arbeitet McQueen gerne. So sehen wir in Illuminer (2001) einen Mann in einem gesichtslosen Hotelzimmer auf dem Bett liegen. Im Fernseher – die einzige Lichtquelle der Szene – läuft eine Dokumentation über eine amerikanische Spezialeinheit in Afghanistan. Wir sehen kein Bild, hören nur den Ton. Und fragen uns ständig, was diese Sendung wohl zeigt.
In der Rauminstallation Pursuit (2005) läuft der Ausstellungsbesucher Gefahr, sich zu verlieren. In der Mitte eines total verspiegelten Raums hängt wieder eine von zwei Seiten bespielte Leinwand. Durch die Vervielfachung der Projektion, die aus reflektiertem Licht besteht, scheint sich der Raum ins Unendliche zu erweitern.
Einen ähnlichen Sog entwickelt Drumroll (1998), das auf einer ähnlich einfachen Idee beruht. McQueen hat drei Kameras in drei Ölfässer montiert und diese durch die Stadt gerollt. Mehrfach hört man den Künstler rufen, ihm doch bitte Platz zu machen. Ja, McQueen hat auch Humor.
Der blitzt aber nur bei wenigen Arbeiten durch. Die Filme, die im Untergeschoss zu sehen sind, werden dokumentarischer, erzählen von Missbrauch, Ausbeutung und dem Tod. Gravesend (2007) etwa dokumentiert den Abbau und die Weiterverarbeitung von Coltan, einem kostbaren Erz, das für die Herstellung von Handys und Laptops verwendet wird.

 

Höhepunkt der Ausstellung ist fraglos die Installation Queen and Country (2007-09). 2003 reiste McQueen als offizieller Kriegskünstler in den Irak. Er entschied sich, eine Serie von Briefmarken herauszugeben, auf denen die Gesichter der gefallenen Soldaten zu sehen sind. In einem Eichenholzkabinett befinden sich 160 ausziehbare Briefmarkenbögen. Solange die Marken nicht offiziell herausgegeben werden, sieht McQueen sein Werk als unvollendet an. Er wird warten müssen: Die britische Post und das britische Verteidigungsministerium halten sich noch zurück.

 

Das Auge sieht nicht, was die Ohren hören.
Steve McQueen ist einer der wenigen Videokünstler, die auch für ihre Spielfilme gefeiert werden. Eine Ausstellung in Basel zeigt nun sein verstörendes Werk. In Shame beispielsweise reflektiert Steve McQueen kühl über Sexsucht. Das zugrunde liegende Gefühl von Verlorenheit kennt der Regisseur selbst zu gut, sagt er im Interview.

 

 (Courtesy DIE ZEIT, veröffentlicht16.3.2013, mit freundlicher Genehmigung des Autors).

 

Ausstellung
Steve McQueen
Schaulager
Ruchfeldstr. 19, Münchenstein/Basel
(Bis 1. September 2013)
Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag 14-20 Uhr, Donnerstag 14-22 Uhr, Samstag und Sonntag 12-18 Uhr. Die Eintrittskarte ist drei Tage lang gültig. www.schaulager.org

 

 

Katalog
Steve McQueen. Werke
Herausgegeben von der Laurenz-Stiftung, Schaulager Basel
Die Publikation enthält ein vollständiges und reich bebildertes Werkverzeichnis sowie Essays von ausgewiesenen Kennern des Werks von Steve McQueen, ein ausführliches Gespräch mit dem Künstler und ein komplettes Ausstellungs- und Literaturverzeichnis.
Kehrer Verlag 2013, Heidelberg/Berlin
262 S., Englisch und Deutsch,
Hardcover,
CHF 42,- Euro 35.-. Museumsshop
Bestellungen: info@schaulager.org

 

Veranstaltungen

Workshop
Generations, Generations! „Once Upon a Time“

Sa, 1. Juni 2013, 14.00 Uhr
Kosten: regulär CHF 20.-, reduziert CHF 15.-. Das Eintrittsticket für die Ausstellung ist darin inbegriffen.
Ameldung über www.schaulager.org oder an der Kasse im Schaulager.

Schaulagernacht
Jeden Donnerstag bis 22 Uhr mit speziellem Programm

Schaulagernacht
Donnerstag, 6. Juni 2013

18.00 Uhr, Öffentliche Führung
19.00 Uhr, Werkbetrachtung „Gravesend, Unexploded“
20.00 Uhr, Filmvorführung „Hunger“ (2008), Steve McQueen, UK, 96 Min.

Schaulagernacht
Donnerstag, 20. Juni 2013

18.00 Uhr, Öffentliche Führung
19.00 Uhr, Werkbetrachtung „Queen and Country“
20.00 Uhr, Artist’s Choice, „Couch“, 1964, Film von Andy Warhol, USA, 54 Min.

Schaulagernacht
Donnerstag, 27. Juni 2013

18.00 Uhr, Öffentliche Führung
18.30 Uhr, Vortrag Stuart Comer, London, (Englisch)
20.00 Uhr, Artist’s Choice „Zéro de Conduite“ (1933), Film von Jean Vigo, Frankreich, 41 Min.

Öffentliche Führungen
Jeden Donnerstag 18 Uhr und Sonntag 13 Uhr, keine Anmeldung erforderlich

Do, 13. Juni 2013, 13.00, Öffentliche Führung (Deutsch) und Guided Visit (Englisch)
So, 23. Juni 2013,13.00, Öffentliche Führung mit Kinderbetreuung (4-10 Jahre)
So, 30. Juni 2013, 13.00, Guided Visit (Englisch)

Filmvorführungen
ausserhalb der Schaulagernacht

Sonntag, 9. Juni 2013, 16 Uhr
„Hunger“ (2008), Steve McQueen, UK, 96 Min.

Öffnungszeiten
Die Ausstellung hat besondere Öffnungszeiten

Dienstag, Mittwoch, Freitag 14 – 20 Uhr
Donnerstag 14 – 22 Uhr
Samstag, Sonntag 12 – 18 Uhr

Während der Feiertage 12–18 Uhr

Während der Art Basel, 10.-16. Juni 2013
Montag bis Mittwoch 11–20 Uhr
Donnerstag 11–18 Uhr
Freitag und Samstag 11–20 Uhr
Sonntag, 11–18 Uhr

Eintrittspreise
Ticket für drei Eintritte (nicht übertragbar)

Regulär CHF 18.–, reduziert CHF 12.–
Dauereintritt regulär CHF 30.–, reduziert CHF 22.–

Kontakt: info@schaulager.org

www-schaulager.org/Veranstaltungen

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