FRONTPAGE

«Kosmos an der Europaallee – Kultplatz für Kosmopoliten und Kosmonauten»

Von Rolf Breiner

 

 

Seit über 40 Jahren bewegt und prägt er die Schweizer Filmszene – als Produzent, Filmer und Unternehmer: Samir (61), Mitbegründer der Produktionsfirma Dschoint Ventschr, initiierte zusammen mit Bruno Deckert («Sphères», Bar, Buch und Bühne) das Projekt «Kosmos», ein Kultur- und Gastrokomplex an der Europaallee, Zürich.

 

Rührig und initiativ wie eh und je. Gestern (Februar) in Berlin – als Jurymitglied eines Wettbewerbs um Dokumentarfilme an den Berliner Filmfestspielen – heute an der Baustelle «Kosmos» beim Zürcher Hauptbahnhof und morgen in Köln oder London zu Drehvorbereitungen seines aktuellen Spielfilmprojektes: Samir, 1955 in Bagdad geboren, Schweizer und Kosmopolit, kreiert und bewegt viel im Film- und Kinobereich. Seit Jahren arbeitet er zusammen mit Partner Bruno Deckert, Gastrounternehmer, Mitbegründer und Verwaltungsratspräsident der zürichparis AG, die Immobilienprojekte plant und besitzt, um einen eigenen Kosmos zu entwickeln: einen «kosmopolitischen Ort für Stadtflaneure, Wissenshungrige, Kulturinteressierte, Geistesarbeiter und Geniesser»

 

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Partner sind die SBB Immobilien, welche rund 55 Prozent (8 Millionen Franken) der Vorfinanzierung des Innenausbaus übernehmen. Insgesamt kommt das Projekt auf 16 Millionen Franken, liegt zwischen SBB-Gleisen und Europaallee, Nähe Langstrasse, umfasst 4700 Quadratmeter, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Google-Bürokomplex und dem 25hours Hotel. Auf drei Stockwerke verteilt, finden sich Büchersalon mit Café, Bar, Lounge, Club, Restaurant. Herzstück ist das Forum mit Bühne und einer breiten Treppenanlage, die bei Bedarf zur Sitztribüne umfunktioniert werden kann. Quasi im Kellergeschoss führt eine 80 Meter lange Kinoallee zu den sechs Sälen, ausgelegt zwischen 60 und 240 Plätzen. Wir trafen Samir auf dem Sprung nach Köln, naheliegend im HB, zum Gespräch über Ideen, Projekte, Absichten.

 

 

Gespräch mit Samir, Produzent, Filmer und Unternehmer

Gestern Berlin, heute Zürich und Köln und morgen wieder die Schweiz – du warst an den Filmfestspielen in Berlin aktiv. Um was ging es da?
Samir: Ich war Jurymitglied des neuen Wettbewerbs um Dokumentarfilme. Den Dokumentarfilmpreis, dotiert mit 50 000 Euro, gewann übrigens der palästinensische Film «Ghost Hunting» von Raed Andoni. Dieser Film stach durch seine neue formale Herangehensweise hervor. Er reinszenierte die Gefangenschaft von Palästinensern in einem Hochsicherheitsgefängnis der Israelis.

 

Schauplatz Europaallee – der Rohbau des neuen «Kosmos» steht. Eröffnet werden soll es am 1. September. Was ist besonderes an diesem Grossprojekt?
Wir wollen einen Ort schaffen, den es bisher in Zürich nicht gibt. Nämlich lauter kleine Planeten, die miteinander verbunden sind, und einen Kosmos ergeben.

 

Einen offenen Ort…
Genau, einen Ort des Austausches. Das Durchlässige war unsere Grundlage. Und sollte in eine Art Halle umgesetzt werden. Diese Halle, das sogenannte Forum sollte zwischen Buchladen, Bistro und Club liegen. In diesen sechs Jahren haben wir uns darüber mit den SBB gestritten, diskutiert, entwickelt. Und das hat sich gelohnt.

 

Eure Idee des Mittelpunkts hat sich durchgesetzt…
Mit der grossen Halle haben wir nun dieses Forum erschaffen, denn zuerst war es eigentlich nicht so gedacht. Das ist der inhaltliche Mittelpunkt dessen, was wir wollten, eben nicht nur ein Kino oder Buchladen oder Bistro.

 

Der Name Kosmos kann vieles bedeuten…

Das älteste Kino im Kreis 4 hiess auch Kosmos, das ehemalige Plaza. Das Buchbistro meines Partner Bruno Deckert heisst ja Sphères, das ergibt eine gewisse Nähe.

 

Der Schritt vom Sphères zum Kosmos scheint klein.

Wir studierten herum. Bruno hatte zuerst ein Projekt, das nannte sich «Geld und Geist» und ich hatte eines mit dem Namen «Sieben Gleise».

 

Gottfried Keller und Kino – das scheint zu passen…

Wir wussten schnell, dass wir unsere Ideen zu einem gemeinsamen Ausdruck bringen sollten. So schlug Bruno vor, das Projekt «Kosmos» zu nennen. Mir gefiel das natürlich, weil im «Kosmos» Kosmonaut und Kosmopolit enthalten sind.

 

Und du findest dich darin selber wieder.

Es kann keinen anderen Namen geben.

 

Der Komplex beinhaltet viel: Zusammenkommen, Kommunikation, Austausch. Was versprecht ihr euch insgesamt?

Wir sagen, Zürich ist eine Metropole geworden, ohne dass es ihre Bewohner und ihr Umfeld richtig wahrgenommen haben. In ihren Köpfen besteht Zürich immer noch auf einer Idee des 19. Jahrhunderts, in der kleinen Stadt des gepflegten Bürgertums. Das ist sie schon lange nicht mehr. Unser Projekt repräsentiert ein Millionen-Zürich, das Urbane und da fehlt eben ein Ort des Austausches.

 

Wenn ich es richtig verstehe, wollt ihr einen Ort der verschiedenen Künste, eines Ganzen mit verschiedenen Facetten schaffen.

Man sagte, der Samir will neue Kinospielstätten schaffen. Nein, die Kinos sind nur eine Erweiterung. Wir wollen den Diskurs unter anspruchsvollen und engagierten Bürgern anregen. Da muss etwas passieren. Und den Diskurs wollen anschieben und mitprägen. Und das macht uns unterscheidbar zwischen anderen Kino- oder Kulturprojekten. Autoren werden ihre Bücher vorstellen. Und wir wollen Diskussionen mit ihnen. Zu Filmen gibt es Veranstaltungen, welche diese inhaltlich begleiten. Wir wollen an diesem neuen Ort Veranstaltungen initiieren, welche politische, soziale, kulturelle und künstlerische Diskussionen in dieser Stadt repräsentieren sollen.

 

Mit anderen Worten: Ihr macht ein Angebot und bietet gleichzeitig ein Forum für Reflektion, Diskussion und Erweiterung.

Wir verfolgen eine Intervention und haben schon jetzt ein enges Netzwerk auch in der akademischen Welt angelegt. Montags finden beispielsweise Gratisveranstaltungen wie die Diskussionsrunde «Kosmopolitics» statt.

 

Die Nähe zum Hauptbahnhof und zur Langstrasse ist gegeben. Eine Schnittstelle, eine Chance?

Das Tram 1 wird kommen in den Zwanzigerjahren, die Buslinie 31 soll verlegt werden. Es kann keinen anderen Ort für uns geben. Die Anbindung ist ideal. Hier entsteht eine neue städtische Achse, von der Bahnhofstrasse/Löwenstrasse bis nach Schlieren – für schweizerische Verhältnisse fast im Champs Elysees-Stil.

 

Wie entwickelte sich die Zusammenarbeit mit den SBB?

Sind Kinos machbar, war die Frage? Dazu musste innen das ganze Gebäude um 180 Grad gedreht werden. Es gab Krisen, wir haben uns demensprechend auch architektonisch eingebracht, um eine Form zu schaffen, die das menschliche Wohlgefühl fördert. Die SBB haben viele Konzessionen uns gegenüber gemacht. Es war ein langer Weg. Anfangs waren sie skeptisch. Letztlich war es eine vertrauensbildende Arbeit von beiden Seiten.

 

Nun entsteht also ein Schmelztiegel der Kultur, wenn ich es richtig sehe.

Wir liegen natürlich am Rande des ehemaligen Red-Line-District und Arbeiterquartiers, wir wissen, dass wir in diesem Sinn das «Feigenblatt der Gentrifikation» sind und wurden auch deswegen von unseren linken Freunden attackiert. Für uns ist es die perfekte Schnittstelle. Das leuchtete auch all unseren Freunden ein, die uns zu Beginn finanziell unterstütze und schlussendlich auch den Investoren ein, die später eingestiegen sind.

 

Jetzt ist alles finanziell unter Dach und Fach. Ihr habt keinen Kredit aufgenommen und keine öffentlichen Subventionen in Anspruch genommen. Ihr habt einen Mietvertrag über 20 Jahre abgeschlossen. Ein Wort zu den Kinos. Was ist geplant, was möglich, eine Art Arthouse Kino plus?

Unsere beiden grössten Kinos, also die Premierenkinos, haben zwischen 210 und 230 Plätze, in der Wahrnehmung wie ein «Le Paris». Wir können auch Filme zeigen, die in einem kleineren Arthouse-Kino keinen Platz hätten, also intelligente Mainstream-Filme wie z.B. der neue «Blade Runner», aber auch ein kleiner Film wie «I Am Not Your Negro». Also Filme mit kulturphilosophischer Reflexion und emanzipatorischem Inhalt. Unsere Spannbreite ist weit. Wir müssen unser Profil noch finden. Aber wir machen uns weder Sorgen ums RiffRaff noch ums Houdini oder Xenix. Wir sind überzeugt, dass Kosmos eine Bereicherung und Vergrösserung der Kinolandschaft in Zürich ist und die Langstrasse wird dadurch die neue Ausgehmeile dafür. Dadurch wird es auch ein Gewinn für alle anderen Veranstalter und Kinobesitzer an dieser Lage.

 

 

 

Dein neues internationales Filmprojekt, ein Spielfilm, ist in Vorbereitung. Um was geht es?
Um alles das, was jetzt jeden Tag in den Schlagzeilen ist. Es geht um eine Gemeinschaft von irakischen Emigranten in London, die von aussen als Parallelgesellschaft wahrgenommen wird. Ich zeige in «Baghdad in My Shadow», so der Titel, dass es gewöhnliche Leute sind, die in ihrer eigenen Gemeinschaft gegen Intoleranz, Sturheit und patriarchalisches Denken ankämpfen müssen. Die drei Hauptfiguren, der gottlose Poet, die arbeitslose, abgehauene Ehebrecherin und der junge Schwule, verkörpern all die Tabus, die in der arabischen Welt nicht behandelt werden dürfen. Schauplatz ist das Café Abu Nawas, einem Treffpunkt von Exil-Irakis, welches nach einem der berühmtesten Dichter benannt wurde, der übrigens bekennender Homosexueller und Trinker war. Und in Baghdad gibt es auch eine Ausgehmeile, die so heisst.

 

 

Die Dreharbeiten finden im Juni/Juli statt. Wie hoch ist das Budget?
Wir drehen im Sommer in Köln, dann einen Teil in Zürich und im Dezember in London vor Weihnachten. Das Budget liegt bei 4,2 Millionen Franken. Das sieht nach recht viel aus, aber eine internationale Ko-Produktion, verkompliziert die Produktion und verteuert sich deshalb unerwartet.

 

Du bist und lebst Kino. Gibt es noch Platz, Energie und Lust für anderes?
Die Entwicklung vom «Kosmos» natürlich. Dazu interessieren mich am meisten philosophische Bücher, politische und soziokulturelle Abhandlungen, Essays von gescheiten Leuten und gute Literatur. Und schlussendlich die wunderbaren Momente mit meiner Frau und unserer Tochter.

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