«Teresa Präauer: Kochen im falschen Jahrhundert – Kulinarik als Statussymbol»
Von Ingrid Isermann
Wenn die Comedienne Maren Kroymann, bekannt für feministische Selbstironie gepaart mit satirischem Furor, im SRF-Literaturclub ein Kochbuch empfiehlt, erweckt das eine nicht geringe Aufmerksamkeit: Kochen als Gesellschaftsanalyse!
Die Autorin Teresa Präauer reflektiert über einen jener Abende, an denen man Gäste zu sich nach Hause eingeladen hat, den Freund aus der Schweiz, der im Smalltalk als meinungsstark gilt und ein befreundetes Ehepaar, das nach einer akademischen Verspätung eintrifft.
Anlass der Einladung ist die neue Wohnung der Gastgeberin, das Esszimmer eine Mischung aus Atelier und Wohnzimmer mit dem aparten dänischen Esstisch und den vom Tischler eigens nach ihren Vorstellungen hergestellten Regalen, einer Bücherwand für Romane und Erzählungen von A-Z, Lyrik, Literaturtheorie, Wörterbücher, Bildende Kunst, Mode, Puppen, Masken. Die Gastgeberin interessierte sich für alles, was kein Geld einbringt.
Der Partner der Gastgeberin bietet seine Hilfe bei der Vorbereitung einer Quiche an, während sie sich spiegelnd in der Glasscheibe des Elektrobackofens fragt, ob sie wieder ins Fitnessstudio gehen solle. Ich unterstütze jede Art von Sport, sagt ihr Partner und stellt eine weitere Flasche Crémant für die schnelle Kühlung in den Tiefkühler. Er konstatiert für sich, dass der Körper einer Frau ans Wirtschaftswachstums gekoppelt sei. Und das Körpergewicht der Frauen in der Generation der Mütter von einiger Bedeutung war, nicht zu schmal, hingegen auch nicht zu dick zu sein hatte.
Mittlerweile ist auch das eingeladene Ehepaar nach einem Apéritif in der Innenstadt eingetroffen, wo man in der Bar zwei amerikanische Touristen getroffen habe, die in Sorge über die Refugees in Europe gesprochen hätten, damit aber nicht die Kriege in den Herkunftsländern meinten, sondern die Ankunft in den Zufluchtsorten. Die Ehefrau gestand, dass sie zugeben müsse, niemanden aufnehmen zu können. Aber sie sei zumindest freundlich zu ihrer Putzfrau und habe das Wort Danke in deren Sprache gelernt. Der Ehemann fügte hinzu, anstatt jedesmal beim Nachrichtenhören zu weinen, sei es besser, Geld zu spenden.
Den Boden für die Quiche hatte die Gastgeberin am Vortag bereits vorbereitet, um nicht in den Stress der offensichtlich Ungeübten zu geraten. Der Schweizer kam mit der geleerten Salatschüssel in die Küche, griff nach dem Smartphone der Gastgeberin und sah sich die Fotos mit den Amerikanern auf Instagram an, die diese bereits gepostet hatten, auch das Rezept eines Americano-Drinks. Die Gastgeberin nahm den Teig aus dem Kühlschrank, entfernte die Folie, um mit einem Nudelholz den Teig flachzuwalzen. Man ass Nüsse und Cracker, während man auf die Quiche und den Höhepunkt des Abends wartete, der an eine softe Neuausgabe von Yasmina Rezas Theaterstück Der Gott des Gemetzels erinnerte.
Was ist Kultur las die Gastgeberin als Frage von den schillernden Fingernägeln der Ehefrau ab, die sich mit ihren Händen wiederholt durch die Haare fuhr, das Buch hatte einige Umzüge überstanden und war nie gelesen worden, als plötzlich von der Küche ein leises Knacken zu hören war. Der Partner der Gastgeberin riss den Tiefkühler auf und fluchte, der herrliche Crémant aus dem Languedoc war zu Schaum gefroren, teils in der Flasche, teils überzog er die Tupperware mit dem Apfelkompott und den Eis-Desserts.
Im Essen steckt immer schon die Geschichte eines Landes und seine Gegenwart. Schliesslich ist man, was man isst. Dazu der richtige Sprachgebrauch, statt Fünfzigerjahre sage man jetzt Mid-Century, was nach Aufbruch und Moderne klinge und die passende Musik, die Playlist ausgewählt vom Algorithmus, wie Smoke gets in your eyes von Nat King Cole, während der Schweizer auf dem Balkon rauchte. Sich beiläufig über Zutaten, Weine oder Sprache zu unterhalten, war der Kitt ihrer Freundschaft; es liess sich über Rotwein genauso fachsimpeln wie über Kunst und Politik, alles Ingredienzen für einen gelungenen Abend mit Gästen.
Eine unterhaltsame Kochshow und genüssliche Lektüre, leichtfüssig und mit geistreichem Witz präsentiert, ein Psychogramm über Design, Schein und Sein im Allgemeinen und die Sterneköche in der Küche mit einem Augenzwinkern im Besonderen.
Teresa Präauer, geboren 1979 in Linz, studierte Germanistik und bildende Kunst in Salzburg und Berlin, sie lebt in Wien und schreibt und zeichnet. Im Wallstein Verlag erschienen zuletzt «Das Glück ist eine Bohne» und «Mädchen». Sie erhielt unter anderem den Erich-Fried-Preis 2017 und den Ben-Witter-Preis 2022.
Teresa Präauer
Kochen im falschen Jahrhundert
Roman
Wallstein Verlag, Göttingen
4. Auflage, 2023
Geb., 198 S., CHF 33.90
ISBN 978-3-8353-5429-6
«Isolde Schaad: Vom Schweigen der Agenda»
Älterwerden ist nichts für Feiglinge, denn es schützt nicht vor Neugier und überraschenden Erkenntnissen. Dass auch die Idole von einst älter werden, mag ein Trost sein, wie beispielsweise Mick Jagger, der sich mit achtzig Jahren munter auf der Bühne zur Schau stellt, ob’s einem gefällt oder nicht. Isolde Schaad macht Beobachtungen und schlägt dem Zeitgeist ein Schnippchen. Aufhören, der schwerste Anfang? Denkste! Die Alten dürfen, die Alten müssen, lautet ihr Befund. Denn Aufhören ist keine Option, ob international oder lokal.
Isolde Schaad gehört zu den Feministinnen der ersten Stunde, die der Diktion von Geschlechteridentitäten aller möglicher Couleur skeptisch gegenüberstehen. Die Errungenschaften der Frauenbefreiungsbewegungen scheinen in den Hintergrund gerückt zu werden aufgrund identitärer Bezeichnungen, die den Ordnungsbegriff Frau tunlichst vermeiden. Sie nimmt die Sprachkuriositäten unter die Lupe und untermauert ihre Thesen anhand der neudeutschesten Fassung, indem sie den Grossen Duden zuhilfe nimmt.
Paula ist fünfundvierzig und auf der Höhe ihrer beruflichen Laufbahn als Industriedesignerin. Es fiel ihr leicht, auf eigene Kinder zu verzichten, sie konzentrierte sich voll auf ihre Berufstätigkeit und wollte auf keinen Fall wie ihre Mutter enden, der ihr Haushalt über den Kopf wuchs. In deren nachgelassenen Agenda trifft sie auf den geheimnisvollen Namen K. Es findet sich in einer Fotoschachtel ein Bild mit einem attraktiven unbekannten Mann im Leinenanzug. Wer war diese Person? Nachforschungen ergeben gemeinsame Treffen mit ihrer Mutter im italienischen Rapallo, was steckt dahinter? Die Recherche führt in deren Vergangenheit auch nach Paris und Teheran und dunkle Nazizeiten. Ein Geheimnis, das sich auf den Spuren der Mutter lüftet? Auch die Multimediakünstlerin Sophie Taeuber-Arp und ihr mysteriöser Todesfall wird von einem MeToo-Komitee neu untersucht und beleuchtet. War es wirklich ein Unfall?
Hermes Baby und investigativer Journalismus
Die literarische Reportage kam ursprünglich aus den USA, von Tom Wolfe, Joan Didion oder Truman Capote. Der Journi-Job war hart und verlangte Grips. Tempi passati? In den Siebzigern und Achtzigern gehörten Freelancer zu den ersten auf dem Platz. Die begeisternden Reportagen gingen reissend weg, die Berichte, Interviews und Kolumnen wurden gelesen. Fake News gab’s noch nicht, kein Internet, kein Facebook. Isolde Schaad schreibt über eine Zeit, die journalistische Abenteuer kannte und auch so manche Abenteurer, die ihre gefakten Reportagen teuer verkaufen konnten, was sich ungemein spannend liest und doch an wenig an heutige Zeiten erinnert. Heute liefert vielleicht ChatGPT die Fake News…
Eine mit Sprachwitz komponierte kurzweilige hintergründige Lektüre, bei der man sich wünscht, sie würde länger dauern.
Isolde Schaad, geboren 1944 in Schaffhausen, lebt seit 1967 in Zürich und gehört zu den namhaften Schweizer Autorinnen der 68er-Generation. Ihre kritischen Gesellschaftsbetrachtungen zeichnen Scharfsinn, Humor und ein hohes sprachliches Können aus. 2014 erhielt sie für ihr literarisches und publizistisches Schaffen die Goldene Ehrenmedaille des Kantons Zürich.
Buchvernissage, Donnerstag 14. September 2023, 19.30 Uhr, Literaturhaus Zürich, Limmatquai 62, 8001 Zürich
Lesung ZÜRICH LIEST, Sonntag, 29.Oktober 2023, 11 Uhr, bücherraum f, Jungstrasse 9, 8050 Zürich.
Isolde Schaad
Das Schweigen der Agenda
Geschichten vom Innehalten und Aufhören –
im Auge des grossen Duden, Neudeutscheste Fassung
Limmat Verlag, Zürich 2023
Geb., 160 S., CHF 30. € 26.
ISBN 978-3-03926-059-1
«Christina Hug: Debütroman aus der Hausbesetzerszene»
Ein Einblick in die Subkultur der Zürcher Hausbesetzerszene in der Jahrtausendwende, in der die jugendliche Autorin selbst aktiv war. Ein Stimmungsbild einer Clique, die in der bunt zusammengewürfelten Hausgemeinschaft ein eigenes Biotop findet mit wilden Partys, basisdemokratischen Sitzungen und ungewöhnlichen Freundschaften.
Herbst 2002. Paul drückt immer noch die Schulbank, weil er sitzen geblieben ist, während seine Freunde auf Reisen sind. Als er mit einer Gruppe schräger Vögel ein leerstehendes Geschäftshaus besetzt, ahnt er noch nicht, welche Abenteuer ihm bevorstehen. Ganz wohl war es Paul nicht dabei, aber es versprach interessant zu werden, zusammen mit elf Leuten ein Haus in Besitz zu nehmen. Ausser Lucas und Lou, seinen gegenwärtigen Lieblingsmenschen, waren da Michi und Nando, zwei Kollegen aus dem Realgymnasium, die er vom Kiffen auf dem Olymp kannte, und Rita, die als Punkerin häufig im Ego rumhing. Die anderen waren ihm nicht bekannt.
So beginnt die flüssig erzählte Hausbesetzerstory einiger Jugendlicher auf der Suche nach Abenteuer, Zusammenhalt und Freundschaft, die sich Laufe der Geschichte entwickelt in jeweils verschiedene Richtungen. Man lernt sich langsam kennen, es wird viel getrunken, geraucht und geschwatzt; dazu gestossen waren auch Maja und Jan, ein friedliches Hippie-Pärchen Anfang dreissig und eigentliche Blumenkinder. Maja sah aus wie Janis Joplin, ausser ihren langen krausen orangen Haaren, und Jan war immer barfuss unterwegs. Andi und Rufus waren Punks wie aus dem Bilderbuch und ein paar Jahre ältere Freunde von Rita.
Die Anarcho-Szene wird lustvoll mit viel Lokalkolorit geschildert, wie sich die Clique mit Möbeln und Lampen aus dem Estrich wohnlich einrichtet und das Erwachsenenleben probiert. Für elf Personen ist das Haus zu gross, deshalb denkt man an den Betrieb eines Cafés und dafür sind Haussitzungen nötig, sodass die Jugendlichen auch mit Bürokratie konfrontiert werden. Die Jugendlichen wollen als Hausbesetzer mit dem Hausbesitzer einen Mietvertrag aushandeln, der ihr Bleiben in der Liegenschaft ordentlich regelt.
Eine unterhaltsame Lektüre, die von Freuden, Sorgen und Liebesnöten Jugendlicher erzählt und sie auf ihrem Weg ins Erwachsenwerden begleitet.
Christina Hug, geboren 1983, ist Politikwissenschaftlerin und wuchs in einem links-grün bewegten Haushalt in Zürich auf, in ihrer Jugend war sie an mehreren Hausbesetzungen beteiligt, sass später für die Grünen im Gemeinderat und arbeitete u.a. für die GSoA, die Wochenzeitung P.S. und aktuell für den Arthouse-Filmverleih Filmcoopi.
Christina Hug
Unser Haus
Roman
Zytglogge Verlag, 2023
Geb., 230 S., CHF 32.
ISBN 978-3-7296-5117-3