Hammermühlebrücke im Kemptthal © PD/Archiv Schmidt + Partner
Comptoir Suisse Belastungsprobe am fertigen Bauwerk © PD/Archiv Schmidt + Partner
«Thema Brückenbau – die Ingenieure Ernst und Albert Schmidt»
Von Fabrizio Brentini
Die Werke von Ingenieuren sind für Buchverlage zu unattraktiv, um sie mit gewinnbringenden
Publikationen der Öffentlichkeit vorzulegen. Nur wenn Aufgaben auf spektakuläre Weise gelöst werden, haben solche Artefakte die Chance, mit Hochglanzaufnahmen die Bewunderung von Lesern und Leserinnen zu erregen. Bezogen auf die Schweiz werden Ingenieurbauten gerne benutzt, aber kaum geschätzt. Dabei wurde das Landschaftsbild in den letzten Jahrzehnten wohl von keiner anderen Baugattung derart verändert wie von solchen Werken – man denke an Autobahnen, Staumauern, Brücken und Tunneln.
Jürg Conzett, selber als Ingenieur tätig, realisierte für die Architekturbiennale Venedig 2010 ein persönliches fotografisches Inventar von Kunstbauten. Den im Verlag Scheidegger & Spiess erschienenen Katalog «Landschaft und Kunstbauten» erachte ich als längst fällige Initialzündung für die Aufarbeitung dieser bisher stiefmütterlich behandelten Baukultur.
Zu dieser Aufarbeitung gehört gewiss auch die Monografie über die Brückenbaupioniere Ernst und Albert Schmidt, erschienen im Verlag Park Books. Ans Werk gemacht haben sich die derzeitigen Inhaber des 1948 von Ernst Schmidt gegründeten Basler Ingenieurbüros, insbesondere Wendelin Schmidt, der Sohn von Albert, dem zehn Jahre jüngeren Bruder von Ernst. Das Gespann Ernst und Albert Schmidt baute sein Team kontinuierlich aus. Bis anhin beaufsichtigte das Büro rund 70 Brücken- und 100 Hochbauten und entwarf 30 Projekte, die nicht ausgeführt wurden. In den letzten Jahren spezialisierte sich die Firma auf die Instandstellung von in die Jahre gekommenen Kunstbauten.
Um es vorweg zu nehmen: Mit Ausnahme der eleganten Linienführung des zwei Kilometer langen Viaduktes am Greyerzersee – wohl nicht zufällig wurde ein Ausschnitt daraus als Einbandabbildung gewählt – vermögen die realisierten Brücken architektonisch kaum zu blenden. Es sind technisch austarierte Kettenglieder eines Autobahnnetzes, das in erster Linie dem reibungslosen Schnellverkehr zu dienen hat. In der Deutschschweiz kamen denn auch kaum beratende Architekten zum Zuge, wie dies für die Tessiner Autobahn der Fall war, wo Rino Tami vor allem mit den eigenwilligen Tunnelportalen Architektur und Ingenieurwesen zu einer einmaligen Einheit verschmolz.
Die Autoren stellen das Gesamtschaffen von Ernst und Albert Schmidt übersichtlich und für Laien weitgehend verständlich dar. Fachwissen wird nur dosiert vorgetragen, und man kann lediglich erahnen, welch logistische Übungen notwendig waren, um solche Zweckbauten zu planen und umzusetzen. Es sind zwei Innovationen, die analysiert und anhand von wenigen Beispielen vorgeführt werden. Die Gebrüder Schmidt entwickelten den so genannten Freivorbau weiter. Zunächst werden bei dieser Methode die Brückenpfeiler hochgezogen, danach auf beiden Seiten die Fahrbahn stückweise aufgehängt, bis sämtliche Lücken geschlossen sind. Dabei werden nach präzisesten Vorstudien, die das Überprüfen an Modellen miteinschliessen, Spannkabel eingezogen, welche die Stabilität der horizontalen Teile garantieren. Für diese Bauweise mussten spezielle Gerüstsysteme eingesetzt werden, Unikate, die für den jeweiligen Bauplatz konstruiert wurden. In der Publikation sind die 1967 vollendete Johanniterbrücke und die 1973 dem Verkehr übergebene Schwarzwaldbrücke, beide in Basel, mit kurzen Erläuterungstexten, Fotos aus der Bauzeit und Plänen als Beispiele für den Freivorbau ausgewählt. Bei den knapper erläuterten zusätzlichen Werken fällt die magistrale Rheinbrücke Köln-Deutz auf, die auf lediglich zwei Pfeilern ruht, wobei die mittlere Spannweite nicht weniger als 185 m beträgt.
Konstruktive Innovation
Die zweite konstruktive Innovation betrifft die Brücken mit auskragenden Querrippen. Diese Bauweise kam dort zur Anwendung, wo die Platzverhältnisse lediglich Einzelstützen zuliessen. Die benötigte Breite für die Fahrbahn wurde dadurch erreicht, dass die Pfeiler mit Hohlkasten verbunden wurden, aus denen Eisenstützen im rechten Winkel auskragen. Erstmals erprobt wurde dieses System 1969 an der Birsbrücke in Basel an einem neuralgischen Punkt, wo verschiedene Verkehrsstränge zusammenlaufen. Höhepunkt ist der bereits erwähnte Viadukt am Greyerzersee, der aus 32 Stützen mit einem gleichbleibenden Abstand von 60 m besteht. Es ist zweifelsohne das Hauptwerk der Gebrüder Schmidt.
In Bezug auf Hochbauten wird die Überdachung der riesigen Sporthalle St. Jakob – wahrlich kein architektonisches Meisterwerk – besprochen, bei der die Gebrüder Schmidt die Werkstoffmenge dank einem Hängedach mit 90 m Spannweite auf ein Minimum reduzieren konnten. Diese Lösung war derart nachhaltig, dass selbst aufwändige Umbauten keine einschneidenden Eingriffe in die Dachkonstruktion erforderten. Ein eigenes Kapitel ist den Erfindungen von Ernst Schmidt gewidmet. Um den Beton ohne Beschädigungen auf seine Konsistenz überprüfen zu können, entwickelte Schmidt einen Betonprüfhammer, der mehrfach verbessert als «Schmidt-Hammer» nach wie vor konkurrenzlos ist.
Dem Brückenprofil angepasst wählten die Buchgestalter ein Querformat. Ausgewogen ist die grundsätzlich nicht einfach in den Griff zu bekommene Anordnung von Fotos, Text und Plänen. Statt Farbabbildungen entschied man sich für den Duplexdruck, der nicht nur die Aufnahmen veredelt, son-dern auch für die Textseiten subtile Farbtonvariationen erlaubt.
Wendelin Schmidt (Hrsg.,
Ernst und Albert Schmidt
Ingenieure, Pioniere
Park Books Zürich, 2014
300 S., CHF 79.
ISBN 978-3-906027-59-3
L&K-Buchtipp
«Aldo Rossi: Wissenschaftliche Selbstbiographie»
Ein einflussreicher Grundlagentext der Architekturtheorie in einer überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe. Aldo Rossi (1931–1997), Architekt und Architekturtheoretiker, entwarf zahlreiche international beachtete Bauten. 1990 wurde er mit dem Pritzker-Preis für Architektur ausgezeichnet.
Der in Mailand geborene Aldo Rossi (1931–1997) war eine charismatische Persönlichkeit und prägte durch seine Lehrtätigkeit an der ETH Zürich in den 1970er-Jahren eine ganze Generation von Architekten. Seine als «Wissenschaftliche Selbstbiografie» betitelte Autobiografie orientiert sich an der Architektur und an den für ihn bedeutsamen Künstlern und Orten. Ein wichtiger Bezugspunkt war dabei Max Plancks „Wissenschaftliche Selbstbiographie“. Nun ist Rossis einflussreiches Buch endlich wieder auf Deutsch erhältlich. Die Neuausgabe enthält unveröffentlichte Farbzeichnungen Rossis, die sein Schaffen eindrucksvoll illustrieren.
Aldo Rossi
Aus dem Italienischen übersetzt
von Heinrich Helfenstein
Vorwort von Johannes Gachnang
Scheidegger & Spiess Zürich, 2014
Neuausgabe, 2014
Geb., 192 S., 30 farbige und 21 s/w Abb.
24.5 x 21 cm CHF 34.00 | EUR 29.00
ISBN 978-3-906027-23-4