«Von konstruktiver Klarheit: Der Universalkünstler Max Bill in neuer Biografie»
Von Ingrid Isermann
Eine neue Biografie über einen der vielseitigsten Künstler des 20. Jahrhunderts: «Max Bill und seine Zeit von 1940-1952» – Gestalter, Maler, Bildhauer, Architekt, Grafiker, Möbeldesigner, Typograf, Publizist, Kurator, Vermittler, Dozent und Politiker.
In ihrer auf mehrere Bände angelegten Biografie führt die Kunsthistorikerin Angela Thomas an das Leben und Werk Max Bills (1908-1994) sowie sein persönliches, kulturelles und politisches Umfeld heran.
Im Anschluss an den 2008 veröffentlichten ersten Teil der Biografie («mit subversivem glanz. max bill und seine zeit: 1908-1939», Scheidegger & Spiess) widmet sich Thomas im zweiten Band Bills Leben während des Zweiten Weltkriegs bis in die Nachkriegszeit.
«von konstruktiver klarheit. max bill und seine zeit 1940 1952» erscheint vorerst in deutscher Sprache in konsequenter Kleinschrift und wird 2024 auch auf englisch publiziert.
Vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse folgt die Autorin den Verbindungen Bills zu den Pionieren der konkret-konstruktiven Kunst und den Architekten des Neuen Bauens bis hin zu den «Zürcher Konkreten». Seine Bedeutung als Ausstellungsorganisator, Publizist und Herausgeber kommt ebenso zur Sprache wie seine Beschäftigung mit Fragen der Stadtplanung und des Wiederaufbaus wie auch sein Einfluss auf die Entwicklung der Konkreten Kunst in Lateinamerika.
Im zweiten Band der Bill-Biografie zeichnet Angela Thomas ein umfassendes Bild der prägenden künstlerisch-intellektuellen Netzwerke, in denen sich Bill bewegte. Unter seinen Weggefährt:innen finden sich Pionier:innen der konkret-konstruktiven Kunst, wie Wassily Kandinsky, Paul Klee, Josef Albers, Sophie Taeuber-Arp, Hans Arp, László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer sowie Georges Vantongerloo.
Thomas blickt auf Max Bills Zeit am Bauhaus Dessau zurück, nimmt Bezug auf die Kreise der Pariser Avantgarde der 1930er Jahre mit Piet Mondrian, Sonia Delaunay, Alberto Giacometti oder Marcel Duchamp und geht auf seine Mitgliedschaft bei Abstraction-Création ein. Die lebenslange Beziehung zu seinem Künstlerfreund Georges Vantongeloo sowie zu den «Zürcher Konkreten» Richard Paul Lohse, Verena Loewensberg, Camille Graeser, Fritz Glarner und Hans Hinterreiter werden ebenfalls ausführlich beleuchtet.
Aufgrund der Fülle des Materials und der Zeitgeschichte empfiehlt es sich, auch einen nicht nur chronologischen Blick in das veritable Nachschlagewerk zu werfen und die Max Bill umgebenden Netzwerke und berühmten Persönlichkeiten zu entdecken. Man erfährt viel Wissenswertes aus erster Hand, das zusammen mit den persönlichen Notizen und Impressionen der Autorin ein anschauliches Bild der geschilderten Zeitepoche ergibt.
Von A wie Alvar Aalto bis Z wie Stefan Zweig
Im Personenregister Bills von A wie Alvar Aalto bis Z wie Stefan Zweig wird man nicht nur in kunsthistorischer Hinsicht fündig, sondern stösst auch auf den Namen Emil Georg Bührle (1890-1956), Waffenhändler, seit 1937 Schweizer Staatsbürger, dessen hochkarätige Sammlung im Kunsthaus Chipperfield gegenwärtig für Furore sorgt. Für eine Max Bill-Skulptur wollte Bührle allerdings keine fünf Franken ausgeben, «man sammelte weder dada noch konkrete, (…) er sammelte impressionisten, etliche von juden, die ihre kunstwerke hatten veräussern müssen, um ihre haut zu retten». (S. 195/196). Wer das ausführliche Personenregister und Quellenverzeichnis aufschlägt, taucht sogleich in den vielfältigen Kosmos von Max Bill ein.
(Auszug)
1970 reiste max bill als offizieller delegierter des schweizer parlaments, zusammen mit dem damaligen bundesrat rudolf gnägi, anlässlich der weltausstellung in osaka nach japan. Zu dieser stadt pflegte bill eine besondere beziehung, weil er als bauhaus-student 1927 als einziger westlicher ausländer ein projekt «für ein fünfgeschossiges gebäude mit dachterrasse in osaka» ausgearbeitet und an die wettbewerbskommission geschickt hatte. (…)
in japan wurde bill grosse anerkennung entgegengebracht, während er in der schweiz, wenn er in der bundeshauptstadt bern im nationalrat eine seiner seltenen reden hielt, von der mehrzahl der anwesenden nationalräte nicht wirklich ernst genommen wurde, (…) weil künstler für sie keinen gewichtigen wirtschaftlichen machtfaktor repräsentierten. er erlebte, wie fremd im eigenen land man sich fühlen konnte. nationalrat bill lancierte «zwecks rationalisierung im bauwesen» am 7. Oktober 1970 in der bundesversammlung eine interpellation. 1971 wird bill ein mitglied der «kommissionen für wissenschaft und forschung». (S. 85/86).
Angela Thomas, Mitbegründerin und Redaktorin der ersten deutschsprachigen feministischen Zeitschrift für die visuellen Künste „kassandra“ (Berlin und Zürich, 1977/78), lernte Max Bill 1974 kennen und heiratete ihn 1991. 20 Jahre lang machte sie Notizen zu gemeinsamen Gesprächen, Erlebnissen und Reisen sowie gemeinsam kuratierten Ausstellungen. Nach dem Tod von Max Bill gründete sie die „max bill georges vantongerloo stiftung“, der sie auch heute noch als Präsidentin vorsitzt.
1998 heiratete Angela Thomas den Regisseur Erich Schmid, mit dem sie im Wohn- und Atelierhaus von Max Bill in Zumikon bei Zürich lebt und für den Film „Max Bill – das absolute Augenmass“ (2008) zusammenarbeitete.
von konstruktiver klarheit.
max bill und seine zeit 1940-1952.
Verfasst von Angela Thomas
In Kooperation mit der max bill georges vantangerloo stiftung
840 S., 255 Abb., 165 x 235mm. CHF 76.90.
ISBN 978-3-906915-68-5
Hauserwirth.com/publishers
«Zwei Architekten im Kontext ihrer Zeit: Max Frisch und Franz Bruno Frisch»
Die Publikation «Max Frisch und Franz Bruno Frisch – zwei Architekten im Kontext ihrer Zeit» schliesst eine Lücke. Es beleuchtet unter dem Aspekt der Beziehungen das architektonische Denken und Schaffen von Vater und Sohn Frisch, insbesondere mit Blick auf architektonische und städtebauliche Problemstellungen zu ihrer jeweiligen Schaffenszeit. Zugleich eröffnet das Buch neue Interpretationsmöglichkeiten in Bezug auf das bei Max Frisch zentrale literarische Thema der Identitätsproblematik.
Betrachtet werden auch Parallelen von Architektur und Literatur in Max Frischs Werk. Die interdisziplinär angelegte Zusammenschau der miteinander verflochtenen Werke von Max und Franz Bruno Frisch ergibt in ihrer zeitgeschichtlichen Einordnung ein kulturgeschichtlich höchst facettenreiches Bild weiter Teile des 20. Jahrhunderts.
Max Frisch (1911–1991) hat mit seinen Romanen wie «Stiller» und «Homo Faber» sowie mit Theaterstücken wie «Biedermann und die Brandstifter» als Schriftsteller Weltruhm erlangt. Dass Frisch anfangs Architekt war, ist meist weniger bekannt.
Aber auch in dieser Disziplin hat er deutliche Spuren hinterlassen, zum Beispiel mit dem denkmalgeschützten «Freibad Letzigraben» in Zürich oder als kritischer, scharfzüngiger Geist, dessen Ansichten bis heute in den städtebaulichen und gesellschaftsarchitektonischen Diskurs einfliessen.
Nicht so Max’ Vater Franz Bruno Frisch (1871–1932). Dessen realisiertes architektonisches OEuvre ist zwar deutlich grösser und reicht vom privaten Badepavillon über Arbeiter- und Angestelltenhäuser bis zu öffentlichen Bauten, die ebenfalls unter Denkmalschutz stehen. Dennoch ist es zu Unrecht völlig unbekannt geblieben.
«Gebaute Beziehungen. Max Frisch und Franz Bruno Frisch»
Die Spuren von Franz Bruno Frischs architektonischer Tätigkeit verlieren sich mit dem Ersten Weltkrieg, die von Max Frisch beginnen knapp vor dem Zweiten Weltkrieg und ziehen sich aktiv mit seinem eigenem Architekturbüro bis hinein in die Wirtschaftswunderjahre. 1955 verkaufte Max Frisch sein Büro. Anschliessend betätigte er sich nur sporadisch als Architekt. Im literarischen Werk tauchen architektonische Sujets jedoch zeitlebens auf.
Betrachtet man die beiden Architekten, stellt sich die Frage, wie sie zu zeitgenössischen Debatten standen, solange sie ihre Büros führten. Bei Max Frisch manifestierte sich der Wandel beispielsweise in seiner Glosse Cum grano salis, die er aus den USA kommend in einem Vortrag vor dem Bund Schweizer Architekten (BSA) öffentlich machte. Hier bot sich u.a. die Auseinandersetzung mit dem Heimatstil als dankbare Folie an, die bereits für die Analyse und Einordnung von Franz Bruno Frischs Werken aktuell war. Auf städtebaulicher Ebene wird der von Franz Bruno Frisch entwickelte Gartenstadt-Gedankens relevant, auf den der Sohn zurückgriff, seiner Zeit geschuldet jedoch anders interpretieren sollte.
Petra Hagen Hodgson
Gebaute Beziehungen
Max Frisch und Franz Bruo Frisch
Scheidegger & Spiess, 2023
Geb., 480 S., 323 farbige und 128 s/w-Abbildungen
21 x 28.5 cm, CHF 49.
ISBN 978-3-03942-128-2
«Die Architektin der Collage:
Hannah Höch – Montierte Welten»
Poetisch, radikal und ironisch: Hannah Höchs Montagen und die visuelle Kultur der Moderne. Sie bewegte sich zwischen den Welten als Redaktionsmitarbeiterin bei einem grossen Zeitschriftenverlag und als einzige Frau, die sich in der Berliner Dada-Szene behaupten konnte. Die deutsche Dadaistin Hannah Höch ist eine der zentralen Protagonistinnen der Kunst der 1920-er Jahre. Sie gilt als eine der Erfinderinnen der Collage und der Fotomontage.
Hannah Höch (1889–1978) brach in den 1920er-Jahren mit Darstellungs- und Sehgewohnheiten: Ihre Werke zerlegten eine Welt, die von der Katastrophe des Ersten Weltkriegs und der Konsumkultur gezeichnet war, und setzten sie auf revolutionäre, poetische und oft auch ironische Weise neu zusammen.
Höch blieb ihren künstlerischen Mitteln und ihrer poetisch-radikalen, zwischen Gesellschaftsbeobachtung und Traumwelt schillernden Imagination auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs treu. Schere und Klebstoff waren die Waffen ihrer Kunst der Montage, als deren Miterfinderin sie gilt.
Schnitt und Montage wiederum prägten auch den Film als damals junges Medium, das Höchs Schaffen immens beeinflusste: Sie verstand Montagen als statische Filme. Dieses reich illustrierte und kundig kommentierte Buch geht erstmals Höchs Faszination für den Film und die Bildkultur des modernen Industriezeitalters nach und zeigt, wie sich die Montage im Spannungsfeld von künstlerischem Experiment, kommerzieller Verwertung und politischer Vereinnahmung entwickelte.
Ergänzt wird der Band durch einen Text über Fotomontage von Hannah Höch, geschrieben 1948, sowie durch eine Textmontage zur Montage als künstlerische Technik: Zu Wort kommen Filmschaffende und Künstler, u. a. Dsiga Wertow, Sergej Eisenstein, László Moholy-Nagy, Raoul Hausmann und Kurt Schwitters.
Ausstellung im Zentrum Paul Klee, Bern
Die Ausstellung geht Hannah Höchs Auseinandersetzung mit der modernen visuellen Kultur nach, insbesondere ihrer Faszination für Film und Fotografie. Rund 60 Fotomontagen sowie zahlreiche Filme, Kunstwerke und Dokumente aus ihrem Umfeld von Kurt Schwitters und Lásló Moholy-Nagy bis Man Ray und Max Ernst zeigen, wie Höch die Fotomontage im Spannungsfeld der Zwischenkriegszeit entwickelte und perfektionierte. Bis 25. Februar 2024. zpk.org
Hannah Höch
Montierte Welten
Herausgegeben von Stella Rollig, Martin Waldmeier, Nina Zimmer
Scheidegger & Spiess, 2023
Broschiert, 200 S., 154 farbige und 15 s/w-Abbildungen
17 x 23 cm, CHF 39.
ISBN 978-3-03942-171-8