Besucherin vor Mark Rothkos Untitled (Red, Orange) (1968) © Foto: Andri Pol
«Walter Pfeiffers Scrapbooks 1969-1985»
Ein buntes Kaleidoskop aufregender Zeiten: Walter Pfeiffers Scrapbooks aus den Jahren 1969 bis 1985 sind eine Wunderkammer ganz eigener Art.
Pfeiffers Polaroids und Fotografien wechseln sich ab mit Fundstücken -Zeitungsausschnitten, Postkarten, Verpackungen, Fahrscheinen – und kurzen sprachspielerischen Notizen.
All dies fügt Pfeiffer zu einer Collage voll überraschender Bezüge und Gegenüberstellungen, die zugleich visuelles Tagebuch und kreativer Humus seiner künstlerischen Arbeit ist.
Pfeiffers scharfer Blick für Eros, Zeitgeist, Popkultur, Ästhetik, Schönheit – sein respektloser Humor ebenso wie sein Sinn für die Poesie des Alltäglichen und Banalen – treten in seinen Scrapbooks unmittelbar zutage. Sie bieten einen Einblick in Pfeiffers verwinkeltverspieltes Universum und sind ein Zeitdokument, das mit ephemerer Eleganz den Zeitgeist der 1970er und 1980er-Jahre einfängt. (I.I.)
Mit einem Text von Martin Jaeggi in Deutsch und Englisch
Gestaltung: Studio Achermann
Wie entstanden die Scrapbooks?
Walter Pfeiffer:
«Die Bücher waren gewissermassen mein Hobby. Ich vergnügte mich damit, Resten, Überbleibsel und Fundstücke zusammenzukleben. Heute wäre das schwierig, denn ich würde viel zu bewusst vorgehen. Die ganz frühen Bücher entstanden fast unbewusst. Am ersten Buch begann ich als Stylist im Modestudio des Warenhauses Globus. Globus schenkte uns eine schöne teure Agenda mit leeren Seiten, in die man wohl Geschäftstermine hätte eintragen sollen. Ich dachte mir, das sei schade um das schöne Buch, benutzte es nicht und begann, darin Dinge einzukleben, nachdem ich entlassen worden war. Ich arbeitete nur einige Monate bei Globus, denn das Modestudio wurde aufgrund der schlechten Wirtschaftslage aufgelöst, und wir standen plötzlich alle auf der Strasse. Die schöne leere Agenda durfte ich jedoch mitnehmen.
Nach meiner Entlassung musste ich mich als Illustrator durchschlagen. Das erste, eingeklebte Plakat kündet einen Zyklus mit Gangsterfilmen an. Das war die Zeit der reinen Nostalgie. Alle liefen hier in Zürich noch als Hippies rum und hatten lange Haare, während ich und meine Freunde ins Kino gingen, oft drei Mal am Tag, und uns alte Filme ansahen. Wir sammelten Art-déco-Möbel, die man damals spottbillig kaufen konnte, keiner interessierte sich dafür. In diesen Zeitgeist passen auch die Bilder von Schönheiten aus den 30er Jahren auf den folgenden Seiten. Unsere Pflichtlektüre im Globus-Studio war „Women’s Wear Daily“, und ich schnitt daraus oft Fotos für mich aus. Beispielsweise das Bild der Herzogin von Windsor in Hotpants. Es war die Zeit, als zum ersten Mal alle Frauen Hotpants trugen, somit war das ein grosses Thema für „Women’s Wear Daily“.
Ich machte nach dem Globus eine zweijährige Grafikerausbildung und vielleicht konnte ich deswegen besser kleben. Denn vor dem Computer war Grafik vor allem mal Kleben».
Walter Pfeiffer Scrapbooks 1969-1985
Edition Patrick Frey N° 125, 2012
460 S., geb., 224 Farbabbildungen,
in wunderschönem Früchteschuber
EUR 82 | CHF 98
ISBN: 978-3-905929-25-6
Walter Pfeiffer, geboren 1946 in Beggingen, machte in den 1960er Jahren eine Ausbildung zum Dekorateur, bevor er an der Kunstgewerbeschule in der Kunstklasse Form & Farbe aufgenommen wurde. Ab Ende der sechziger Jahre war er für verschiedene Modemagazine tätig. Er lebt und arbeitet als Fotograf, Maler und Regisseur in Zürich. Ausstellungen u.a. im Kunstmuseum Luzern (1975), Frankfurter Kunstverein (1981), Kunsthalle Basel (1987), Kunstmuseum Bern (1989), Maritmen Museum Stockholm (1999) und Kunsthaus Zürich (1999/2000).
BUCHTIPP
FONDATION BEYELER :
Was ist Kunst? 27 Fragen – 27 Antworten
Ein gelungener Wurf! Was Kunst ist, scheidet die Geister. Das macht sie so spannend. Die Publikation gibt Aufschluss, perspektivisch, originell, unkonventionell. Zu Worte kommen Kunstkritiker, Künstler und Kuratoren. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Kunstgeschmack, ob Künstler oder Publikum, mit der Zeit verändert. Muss nicht sein, kann aber.
39 Fotografien von Andri Pol fangen Momente ein, in denen Menschen Kunst begegnen. Sie zeigen, wie Kunst wirkt und was sie mit unserem Leben zu tun hat. Die ästhetische, auf den Inhalt treffend abgestimmte Buchgestaltung wurde von Müller + Hess entworfen. Zu ihrem persönlichen Verhältnis zur Kunst wurden bekannte Künstlerinnen und Künstler wie John Armleder oder Elodie Pong, die Ausstellungsmacherin Bice Curiger, der Museumsdirektor Sam Keller, der Galerist Iwan Wirth, der Auktionator Simon de Pury, der oberste Kulturverantwortliche der Schweiz Bundesrat Alain Berset sowie ein Restaurator, ein Kunstversicherer und eine Kunstprofessorin befragt. Das Buch lässt auch Jugendliche zu Wort kommen, die sich mit einem unverstellten Blick zur Titelfrage «Was ist Kunst?» äussern. Der renommierte Fotograf Andri Pol hat mit einzigarten Bildern die Begegnung von Menschen an Schauplätze der Kunst visualisiert. Das Buch soll Jugendlichen und interessierten Erwachsenen den Zugang zur Kunst erleichtern.
Hier präsentieren wir Ihnen einige Zitate:
WAS MACHT EIN KÜNSTLER, WENN IHM SEIN WERK NICHT GEFÄLLT?
Wenn ein Künstler mit seinem Werk nicht zufrieden ist, kann er auf verschiedene Weise damit umgehen: Er kann das Werk wegstellen und warten. Möglicherweise findet er es zu einem späteren Zeitpunkt wieder besser. Er kann weiterarbeiten und das Werk verändern, bis es ihm gefällt, oder es zerstören und eine neue Arbeit beginnen.
Der Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti hatte zum Beispiel so häufig mit Selbstzweifeln zu kämpfen, dass er seine Gips- und Tonskulpturen nachts jeweils zerstörte und am nächsten Morgen wieder von vorne begann.
KÖNNEN DIE KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER VON DER KUNST LEBEN, ODER HABEN SIE NOCH EINEN ZWEITEN JOB?
Die Vorstellung vom „freien Künstler“, der ausschliesslich vom Verkauf seiner Kunstwerke lebt, ist relativ neu. Über Jahrhunderte arbeiteteten die Künstler im Auftrag der Kirche oder reicher Städte, oder aber sie lebten an den Höfen der Herrschaften, um diese mit Bildern auszustatten. So waren sie finanziell gut versorgt, aber künstlerisch von den Interessen und Wünschen der Auftraggeber abhängig. Erst mit der Entstehung eines wohlhabenden Bürgertums entwickelte sich im 16. Jahrhundert in den nördlichen Niederlanden ein Kunstmarkt, auf dem später auch Maler wie etwa Rembrandt oder Jan Vermeer um Käufer wetteiferten usw.
WAS WÄRE DAS LEBEN OHNE KUNST?
Es gäbe zwar Geräusche und vielleicht auch zahlreiche Töne – aber keine Musik.
Es gäbe zwar Buchstaben und Wörter, aber keine Erzählungen, keine Gedichte oder Romane.
Es gäbe bewegte Bilder und doch keinen guten Film.
Es gäbe Farben und Ansammlungen von Punkten und Strichen, aber
Keine Zeichnungen und Gemälde.
Es gäbe unzählige Materialien und Formen, aber keine Skulpturen.
Mit anderen Worten: Es gäbe keine besondere Wertschätzung für den Ausdruck menschlicher Vorstellungen und Ideen.
Ohne Kunst würden den Menschen eine Sprache fehlen, sie könnten ihren Gefühlen, Erinnerungen und Gedanken vielleicht nur ungenügend Ausdruck verleihen. All die unschätzbaren Werke der Vergangenheit hätten wir nie gesehen, und die Menschen würden über sich und andere weniger erfahren.
Was in vielen Bereichen unseres Lebens schwierig zu erreichen ist –Beglü¨ckung und Vollendung – , das wird in der Kunst möglich. Immer wieder. Für Einzelne oder für Gruppen von Menschen, aber wohl nie für alle gleichzeitig.
Was ist Kunst?
Kunst entriegelt Türen und eröffnet neue Perspektiven. – Für mich ist sie eine Art, Gefühle auszudrücken, eine Brücke, um tiefere Zusammenhänge zu verstehen, eine Verbindung zum Universum. – Kunst ist das Glück, starke Gefühle zu erleben – eine Eintrittskarte in eine Traum-/Abtraumwelt.
Maja Hoffmann, Kunstmäzenin und Gründerin der LUMA Stiftung.
Was ist Kunst?
Louise Bourgois, eine wunderbare Freundin und eine herausragende Künstlerin, sagte einmal: ‚Ich bin nicht, was ich bin, ich bin, was ich mit meinen Händen schaffe’.
Kunst ermöglicht es, das innerste Wesen zu entdecken. Das Wunderbare daran ist, dass es ein individuelles oder ein nationales Wesen sein kann, oder sogar das einer ganzen Generation. Im weitesten Sinne kann Kunst eine Gemeinschaft zusammenbringen, und in persönlicher Hinsicht kann sie Licht in die eigene Gefühlswelt bringen. Kunst lebt davon, dass sie letztlich unergründlich bleibt, und das unterscheidet sie von der Wissenschaft.
Iwan Wirth, Galerie Hauser & Wirth, Zürich und London
Fondation Beyeler
Was ist Kunst?
Autoren: Stefanie Bringezu, Daniel Kramer, Janine Schmutz Fotos: Andri Pol
Grafik: Müller + Hess
Hatje Cantz 2012
deutsch, französisch, italienisch, englisch
im Buchhandel und im Shop der Fondation Beyeler Riehen, Basel erhältlich. CHF 19.80. ISBN Fondation Beyeler: 000-3-905632-96-9 (D) / 000-3-905632-97-7 (F) / 000-3-905632-99-3 (E) / 000-3-905632-98-5 (I)
ISBN Verlag: 978-3-7757-3526-1 (D), 978-3-7757-3528-5 (F), 978-3-7757-3527-8 (E)
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