FRONTPAGE

«Yahya Hassan: Gedichte»

Von Ingrid Isermann

 

Es ist geradezu eine Ausnahme, dass ein junger Lyriker von sich reden macht und seine Gedichte in einer Auflage von über 100 000 Exemplaren verkauft. Yahya Hassan hat mit seinen den Islam und die dänischen Institutionen kritisierenden Gedichten nicht nur die dänische Öffentlichkeit gehörig aufgewühlt.

 

Am 17. März 2014 erscheinen die Gedichte des Achtzehnjährigen erstmals auf Deutsch im Ullstein Verlag, Berlin und Yahya Hassan konnte seine Gedichte auch auf der Buchmesse in Leipzig vorstellen, begleitet von beachtlichem medialen Echo. Die Wut des jungen Lyrikers bezieht sich nicht nur auf die Religion, den Islam, oder die gewalttätigen Familienverhältnisse, in denen er aufwuchs, sondern ebenfalls auf die dänischen Institutionen, Heime und Sozialarbeiter. Seit Salman Rushdies verfemten «Satanischen Versen» hat in Sachen Religionskritik seither nichts die Öffentlichkeit stärker bewegen können. Yahya Hassan wird von Islamisten bedroht und seine Lesungen sind nur unter Polizeischutz möglich.

 

«Stell dir vor, du bist 18, und alle halten dich für einen Fremden. Für einen Versager, für einen Kriminellen. Dein Vater predigt von Gott und verprügelt dich regelmäßig. Du lebst in einem Land, das Demokratie verspricht und dich von vornherein aussortiert. Das dich in ein Ghetto steckt. Das nichts mit dir zu tun haben will. Aber du bist ein Mensch. Du bist stolz. Du bist wütend».

 

Yahya Hassans Gedichte sind eine Abrechnung. Seine Sprache ist klar und radikal, sein Ton mal zornig und mit intensivem Beat, dann wieder weich und poetisch, seine Bilder sind eindrucksvoll. Yahya Hassan hat in Dänemark eine Debatte über Migration angestoßen, weil er die gängigen Klischees zerschlägt und uns an die Würde des Menschen erinnert.

 

 

ZWANGSVERWAHRT

ZULETZT WAREN WIR ZUSAMMEN DA STANDEN WIR
STIRN AN DIE WAND
MIT TRÄNEN DIE WANGEN HINUNTER UND
SCHMERZEN IM HALS
NEUE FRAU
NEUE KINDER
WIR ZOGEN ZU MUTTER IM BLOCK GEGENÜBER
ABER IHR KENNT DIE GESCHICHTE
AUFTRITT SACHBEARBEITER MIT EINEM STÜCK PAPIER
EIN PAAR BEAMTE MACHTEN BLOSS IHRE ARBEIT
MUTTER SAGT
NEHMT MIR NICHT MEINEN SOHN MORGEN FEIRN WIR
OPFERFEST
ABER DIESES PAPIER DA
UND SO ZIEHE ICH DIE ABGENUTZTEN SCHUHE AN
UND KÜSSE DIE STIRNE ZUM ABSCHIED
DEN SACHBEARBEITER TRETE ICH ZUR TREPPE
HINUNTER
KRIEGE HANDSCHELLEN DRAUF
DAS IST STRAFBAR RUFEN DIE BEAMTEN
DURCHEINANDER
UND ICH SAGE ICH BIN NOCH NICHT STRAFMÜNDIG
ICH TRETE AUCH SIE
UND SO GAB ES STATT LAMM UND KEBAB
MARTINSGANS ÄPFEL UND ZWETSCHGEN
AM TELEFON NENNT IHR MICH ABWECHSELND
BRUDER UND DÄNE
WOLLT WISSEN WAS ICH IN EINEM HEIM MACHE
ABER KENNEN WIR UNS EIGENTLICH
EINT UNS WAS ANDERES ALS DIESER SCHMERZ
IHR WURDET GROSS UND SCHÖN
UND ICH WURDE ANSCHEINEND EIN DÄNE
ABER KENNEN WIR UNS EIGENTLICH
ES IST LANGE HER SEIT WIR AUS DEM LOCH
RAUSKAMEN
UND DAS IST ES WOHL NICHT WAS UNS EINT

 

 

UMZUG

HEIM NUMERO EINS WO ICH UNTERGEBRACHT WAR
WAR IN EINEM KAFF AUF DEM LAND IN DER NÄHE VON
VEJLE
DORT WOHNTE DER NACHWUCHS VON SÄUFERN
DER NACHWUCHS VON JUNKIEMÜTTERN
SIE ERTRUGEN ES NOCH ZU GEBÄREN
DOCH ERTRUGEN NICHT DIE EXISTENZ
DIE AUS IHREM SCHOSS KAM
ICH PISSTE INS FEUER WENN SIE STOCKBROT
MACHTEN
UND FUHR MIT DEM TRAKTOR ZUM LADEN
WENN DIE BETREUER NICHT FAHREN WOLLTEN
ICH VERBRIET MEIN GANZES TASCHENGELD FÜR
KIFFEN
UND STAHL SÜSSES UND LIMO UND ALK
ICH SCHLUG MICH MIT ALLEN UND JEDEM
SIE KRIEGTEN GENUG VON MIR UND MACHTEN
GEMEINSAME FRONT
MÄDCHEN UND JUNGEN
DOCH SIE KÖNNEN NUR SPUCKEN UND PRAHLEN
ICH DROHTE IHNEN MIT DEM BROTMESSER
HIELT ES AUCH DER BETREUERIN UNTER DIE NASE
ALS SIE MIR VERBOT ZWISCHEN DEN MAHLZEITEN ZU
ESSEN
ICH BEKAM EIN STÜCK BROT
UND EINE KONTAKTPERSON DIE WIRKLICH NETT
WAR
DIE GENEHMIGUNG VON DER GEMEINDE WAR NUR
FÜR EINEN MONAT
EINMAL HIESS ES ICH SOLLTE AUF HEIMURLAUB
ICH PACKTE DIE TASCHE UND ZOG MIR MEINE
BESTEN SACHEN AN
MEIN FREUND ZOG NACH TUNESIEN
ICH SOLLTE ZUM ABSCHIEDSFEST KOMMEN
ICH SCHLIEF AUF DER AUTOBAHN EIN
ALS ICH AUFWACHTE WAR ICH BEI SILKEBORG IM
WALD
EINE PRIMITIVE HÜTTE UND EIN NEUES
BETREUERTEAM
ICH SAH LÄCHERLICH AUS IN DEM ANZUG
ICH RAUCHTE
SIE ZEIGTEN MIR DIE HÜTTE
UND SAGTEN ICH KÖNNTE GANZ EINFACH EIN LOCH
GRABEN
WENN ICH SCHEISSEN MÜSSTE
ICH SCHLUG DIE HÜTTE KURZ UND KLEIN MIT
EINER BRATPFANNE
ERST DIE FENSTER
DANN DIE TOPFPFLANZEN TONZEUG UND TELLER
UND GLÄSER
ICH TRAT TÜREN EIN UND WARF DAS REGAL UM
RISS DIE LADEN RAUS BRACH DIE SCHRANKTÜR AB
DIE BETREUER HIELT ICH AUF ABSTAND
MIT DEM KLAPPMESSER
BIS BEIDE HINAUSGINGEN TELEFONIEREN
ICH MERKTE DER MOTOR DES AUTOS WAR AN
ICH LIEF AUS DER HÜTTE
SPRANG HINEIN UND VERRIEGELTE DIE TÜREN
DIE KUPPLUNG KOMMEN ZU LASSEN WAR SCHWER
MIT DEN ZWEI BETREUERN VORM KÜHLER
ICH TAT DEN RÜCKWÄRTSGANG REIN
SIE VERSCHWANDEN
UND ICH GERADEWEGS RÜCKWÄRTS HINEIN IN EIN
AUTO DAS ANKAM
MIT NOCH MEHR BETREUERN
SIE SCHLUGEN DIE SCHEIBE EIN DANN GABS EINE
ABREIBUNG

 

 

MAN GRÄMT SICH

ICH SCHEISSE EINE ROSE MIT DORNEN
MEIN ARSCH BLUTET VOR TORHEIT UND RACHE
ICH BIN EIN SCHEISS ANTISEMIT
DAS FLOSS IN MICH EIN MIT DER VATERMILCH
MIT DEN DROHNEN ÜBER DEN OLIVENBÄUMEN
MIT STERNEN UND STREIFEN UND WEISSEM
PHOSPHOR
DAS FLOSS IN MICH EIN AN DER KLAGEMAUER
MIT DEM JAMMER SEIT DEM HOLOCAUST
MIT DEM JAMMER DER PALÄSTINENSER
UND ICH LEIDE MIT IHNEN

 

 

FREUNDSCHAFTSGEDICHT

DEIN BRUDER HAT EINE TÄTOWIERUNG IM GESICHT
EINER MUSS ES JA MACHEN SAGST DU
UND GEHST DEN GERADEN WEG ZUM KLUBHAUS
EIN BEKANNTER UND ICH LEGEN ZUSAMMEN
ICH KAUFE EIN PAAR FEUERWERKSKÖRPER
FAHRE IN DIE STADT UND GEHE ZUM GEFÄNGNIS
WO DEIN BRUDER SITZT
SEIT ER AM FLUGHAFEN ERWISCHT WURDE
DU PFEIFST ZWEI MAL UND ER ZIEHT SICH AN DEN
STÄBEN HOCH
SO WIE ER ES TAT
ALS WIR IHM DORT FRÖHLICHE WEIHNACHTEN
ZURIEFEN
DU ZÜNDEST EINE RAKETE AN UND RUFST GUTES
NEUES JAHR BRUDER

 

Yahya Hassan, geboren 1995, wächst in einem Migrantenviertel in Aarhus, Dänemark, als Sohn palästinensischer Flüchtlinge auf. Sein Vater verprügelt ihn regelmäßig. Früh wird Yahya Hassan kriminell. In einer Besserungsanstalt für straffällige Jugendliche beginnt er, Gedichte zu schreiben.


 

 

Yahya Hassan
Gedichte
Aus dem Dänischen

von Annette Hellmut und Michel Schleh

Ullstein Verlag Berlin, 2014

Gebunden, 171 Seiten,

16 Euro

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