FRONTPAGE

«Zum Zweihundertfünfzigsten: Wien feiert ein Jahr lang Beethoven»

Von Ingrid Schindler

 

In Wien entstand der grösste Teil von Ludwig van Beethovens Werk. Der Wahlwiener hat an zahlreichen Orten in und vor den Toren der Stadt seine Spuren hinterlassen. 2020 feiert die Welthauptstadt der Musik den 250. Geburtstag des Musikgenies aus Bonn.

Das schmucke Boutiquehotel heisst Beethoven und die Besitzerin Ludwig mit Nachnamen. Zufall und doch nicht ganz von ungefähr, denn es liegt gegenüber dem Theater an der Wien, wo Beethoven zeitweise wohnte, während er die erste Fassung seiner Oper «Fidelio oder Die eheliche Liebe» 1803/4 komponierte und 1805 uraufführen liess. Anfangs fiel die Freiheitsoper, deren Protagonisten die Ideale der Französischen Revolution verkörpern, beim Wiener Publikum durch. Inzwischen steht sie seit Jahrzehnten fast jede Saison auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Im Februar 2020 kommt sie in der Urfassung und im April/ Mai 2020 in der 3. Fassung, die 1814 an der Hofoper uraufgeführt wurde, auf die Bühnen der Staatsoper, die 1955, als Österreich seine Souveränität zurückerlangte, mit dem Fidelio wiedereröffnet wurde. Anlässlich Beethovens 250. Geburtstag erweist auch das Theater an der Wien im März 2020 dem Wahlwiener die Ehre, mit einer Neuproduktion der 2. Fidelio-Fassung, bei der Oscar-Preisträger Christoph Waltz die Regie führt.

 

 

Beethoven kulinarisch
Vom Theater an der Wien sind es nur ein paar Schritte bis zum Restaurant «Ludwig Van» in der Laimgrubengasse. Auch dies ein Ort, der an das Genie aus Bonn erinnert. In einer Gartenwohnung des denkmalgeschützten Hauses in Mariahilf arbeitete Beethoven u.a. an der «Missa solemnis» und der 9. Sinfonie. In einem Restaurant dreht sich alles ums Leibliche und so weiss man hier um des Meisters Leibspeisen, wie «Huhn und Fisch, Käse-Makkaroni, Hirn- oder Brotsuppe». Wirt und Kulturmanager Oliver Jauk will deshalb zum Auftakt des Gedenkjahrs ein Menü aus der Zeit Beethovens auf den Tisch bringen. «Freilich dem Zeitgeschmack angepasst, denn heute würde es uns nicht schmecken, wie man damals kochte. Mit viel Schmalz und Eiern.» Der Komponist mit dem empfindlichen Magen orderte die Brotsuppe mit jeweils 10 Eiern, für sich allein.
Neben Hirn und anderen Altwiener Spezialitäten steht im Ludwig Van «Tafelspitz von der alten Kuh», modern interpretiert, eine butterzarte Sinfonie kräftiger Aromen, auf der Karte. Dazu serviert Jauk einen lokalen «gemischten Satz», der per definitionem aus mindestens drei verschiedenen Rebsorten, gemeinsam in einem Wiener Weinberg kultiviert, besteht. Der Wein geht ab wie eine Rakete und heisst auch so. Das Besondere daran ist, dass er aus weissen und blauen Trauben gekeltert ist, während der gemischte Satz normalerweise aus weissen Reben gepresst wird.

 

 

Heute ein Messie
Beethoven war Wein und Bier zugeneigt. Ein Alkoholiker dagegen, was ihm manchmal nachgesagt wird, war er nicht, obwohl er den Eindruck erwecken konnte. «Er war launisch, unberechenbar, cholerisch, nicht sehr umgänglich, obwohl er auch durchaus den Gesellschaftstiger geben konnte», meint Jauk. Aber als Mieter der reinste Horror: Er war nicht reinlich, legte wenig Wert auf sein Äusseres und seine Wohnung wurde in kurzer Zeit zum Saustall. «Stellen sich das Unsauberste und Unordentlichste vor», beschrieb Baron de Trémont einen Besuch bei Beethoven 1809.
Ausserdem machte er Lärm: Vormittags arbeitete er diszipliniert an seinen Kompositionen, nachmittags suchte er auf ausgedehnten Spaziergängen Erholung und Inspiration in der Natur – die «Pastorale» ist das überragende Zeugnis seiner Liebe zur Natur – und bis spät in der Nacht feilte er unermüdlich auf dem Klavier an seinen dramatischen, überraschenden Werken. Mit einem Holzaufsatz als Verstärker, um die Töne besser zu hören. Nicht wie Mozart von leichter Hand, sondern schwer erarbeitet, bis ins letzte Detail dramaturgisch durchkomponiert. Beethoven war Perfektionist.
Länger als ein paar Monate hält seine Umgebung das unkonventionelle Genie jedoch nicht aus, kaum einer duldet ihn länger im Haus. Egal, ob man durch den 1., 4., 6. oder zum Beispiel den 19. Bezirk flaniert – man könnte beliebige Bezirksnummern aufzählen und läge richtig –, man stösst immer wieder auf seinen Namen. Die meisten seiner Werke komponiert Beethoven in Wien.

 

 

Auf den Spuren des Superstars durch Wien
Gebürtig im Jahr 1770 in Bonn, wird das musikalische Wunderkind ähnlich wie Mozart vom Vater gefördert und gefordert: Mit Sieben das erste öffentliche Konzert, mit 12 die erste Veröffentlichung eigener Kompositionen, mit 13 Jahren bei Hofe wohl gelittener Berufsmusiker, der die Familie ernährt. Als 16-Jähriger reist Beethoven zum ersten Mal in die Donaumetropole, um Mozart zu treffen. Die Kutschfahrt dauert 17 Tage. Als er in Wien ankommt, ist Mozart bereits zwei Monate tot. Wegen des bevorstehendes Todes der Mutter kehrt Beethoven nach Bonn zurück. Mit 22 Jahren kommt er 1792 auf Haydns Intervention erneut nach Wien und bleibt für immer – 35 Jahre.
Bis zu seinem Tod 1827 wechselt Beethoven über 60 Mal in und um Wien die Wohnung. Er setzt so viele Wegmarken, dass man tagelang auf seinen Spuren wandern kann. «Mit Mozart, Haydn und Schubert bildet er den Höhepunkt der Wiener Klassik, obwohl er eigentlich den Prototypen des romantischen Künstlers verkörpert und die Musik der Romantik einläutet», erläutert Musikwissenschaftlerin Ilse Heigerth, die auf Beethovens Spuren Gäste durch die Stadt führt. In Döbling entsteht zum Beispiel die «Eroica», die 3. Sinfonie, im Pasqualati-Haus das Klavierstück «Für Elise», in Grinzing und Nussdorf die «Pastorale», die 6. Sinfonie, und im Prunksaal der Akademie der Wissenschaften feiert er mit der Uraufführung der 7. Sinfonie seinen vielleicht grössten Publikumserfolg.
«Wien hat den Meister aus dem Rheinland gefördert und dafür bezahlt, dass er blieb. Er war schon zu Lebzeiten ein Superstar, der sich Allüren erlauben konnte», sagt Heigerth. Obwohl aus bürgerlichen Kreisen stammend, geht er in Adelskreisen aus und ein und findet im Wiener Adel seine grössten Gönner und Auftraggeber, die ihm immer wieder ein Dach über dem Kopf, ansehnliche Honorare und den Rahmen für seine Musik verschaffen. Die Aufführungspraxis ist damals eine andere als heute. Die grossen Konzerthäuser existieren noch nicht, private Adelspalais und die Musikakademien der Hofburg und Universität sind die Orte, an denen die Werke zur Aufführung kommen. Obwohl Beethoven seine Noten gut absetzen und verlegen kann und gut davon leben könnte, gerät er immer wieder in finanzielle Engpässe, aus denen ihn die Adelshäuser Lichnowsky, Rasumowsky, Lobkowitz oder Kinsky retten.

 

 

Schwerhörigkeit und Götterfunken
Beethovens schwierige Persönlichkeit steht mit seiner Ertaubung in Zusammenhang. Bereits 1796 manifestiert sich sein Ohrenleiden, 1818, mit 48 Jahren, ist er völlig taub. Die zunehmende Schwerhörigkeit stürzt den an sich geselligen Musiker in Verzweiflung und Isolation, im Laufe der Zeit kann er nur noch schriftlich mit Konversationsheften mit anderen in Kontakt treten. Die Musik hört er innerlich, er besitzt das absolute Gehör.
Wie sehr ihm die Krankheit zusetzt, bringt das berühmte «Heiligenstädter Testament» zum Ausdruck, ein nie abgeschickter Brief an seine Brüder, in dem er seine Launen erklärt und Gefühle offenbart. In Heiligenstadt, dem Schwefelheilbad vor den Toren Wiens, heute als 23. Bezirk eingemeindet, sucht er, wie so oft, vergeblich Besserung oder Heilung seiner Schwerhörigkeit, lediglich dem Magen tun die Kuren gut. Als Schlüsselwerk der Heiligenstätter Zeit gilt die «Sturm-Sonate». Die Wohnung, die er in der Probusgasse 7 bezieht, ist heute ein Beethoven-Museum.
Mit 56 Jahren stirbt Beethoven am 26. März 1827 qualvoll an Leberversagen. Dieses wird durch eine Bleivergiftung verursacht, die er sich durch ärztliche Behandlung zuzieht. Denn nach damals gängiger Praxis behandelt man Beethovens Lungenentzündung mit Bleisalz und Bleipflastern. 20’000 Menschen, knapp ein Zehntel der damaligen Bevölkerung Wiens, folgen dem Trauerzug bei seinem Begräbnis auf dem Währinger Friedhof.
Inzwischen wurde der Wahlwiener zweimal umgebettet und ruht auf dem Zentralfriedhof neben Schubert und Mozarts Denkmal. Er hinterlässt 340 Werke und ist der meistgespielte klassische Komponist der Welt. Das Ta-ta-ta taaaa der 5. Symphonie oder das Finale der 9. Sinfonie, deren «Ode an die Freude» zur Hymne der Europäischen Union wurde, kennt jeder. Sein Einfluss auf Musiker und Komponisten wirkt bis heute.

 

 

Weltkapitale der Musik
Beethoven hätte sich keinen besseren Ort aussuchen können als Wien, die Welthauptstadt der Musik. Auch heute zieht Wien Musikgrössen aus allen Sparten der Musik und Ecken der Welt an. Das liegt nicht nur an der ungeheuren Zahl an Aufführungsorten – Wien hat allein vier Opernbühnen (Staatsoper, Theater an der Wien, Volksoper, Kammeroper), mehrere Musicalbühnen, den Musikverein, das Konzerthaus u.v.a. – und grossartigen Orchestern, allen voran die Wiener Philharmoniker und Symphoniker. Auch die Infrastruktur für Musiker ist hervorragend, von Tonstudios und -bibliotheken, Museen, Notenarchiven bis zur Ausbildung von Musikern und dem Instrumentenbau. Mit 45 Instrumentenbauern in der Stadt steht Wien aktuell an der Weltspitze. Und genug Publikum gibt es auch. Zum einen die Gäste (16,5 Millionen Übernachtungen 2018), die nicht zuletzt das Erleben des Wiener Klangs herlockt, zum anderen die musikbegeisterten Wiener selbst. Jeden Abend hören rund 10’000 Besucher klassische Musik auf Wiener Bühnen live. Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoinker sehen 50 Millionen Zuschauer in 90 Ländern.
Am diesjährigen Neujahrstag steht Beethovens Neunte auf dem Programm. Während des ganzen Beethovenjahrs reiht sich eine hochkarätige Veranstaltung an die andere. Eine der interessantesten dürfte das Originalklang-Orchester Wiener Akademie bieten, die die Konzertreihe «Resound Beethoven» an den Schauplätzen der Uraufführungen durchführt und Beethovens sämtliche Sinfonien und Klavierkonzerte auf historischen Instrumenten aufnimmt. Natürlich feiert auch Bonn 2020 den Titanen der klassischen Musik.

Beethoven in Wien
ÜN:
Hotel Beethoven, 4 Sterne, Nähe Naschmarkt vis-à-vis Theater an der Wien, www.hotel-beethoven.at
Restaurants:
Ludwig Van im denkmalgeschützten Beethoven-Haus, Laimgrubengasse 22, www.ludwigvan.wien
Der Pfarrwirt, Pfarrplatz 5, Heiligenstadt, traditionelle Küche, Heuriger, ältestes Restaurant Wiens, www.pfarrwirt.com
Tian, vegetarischer Gourmettempel des Spitzenkochs Paul Ivic, drei Hauben, ein Michelinstern, absolut hinreissend und überraschend: Saftbegleitung zum Vegi-Menü, www.tian-vienna.com
Vollpension, Oma-Café und Mehlspeisenparadies im MUK Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, Johannesgasse 4a, www.muk.ac.at, und in der Schleifmühlgasse, www.vollpension.wien.at
Gmoakeller, traditionelle Wiener Küche, Am Heumarkt 25, www.gmoakeller.at

 
• Tipps:
Backstagetour Staatsoper, www.wiener-staatsoper.at
• «Auf den Spuren des Wiener Klangs», Beethoven-Touren mit Ilse Heigerth, heigerthi@gmail.com
Besuch oder Hauskonzert bei Bösendorfer, www.boesendorfer.at
Besuch in der Geigenbauwerkstatt von Bärbel Bellinghausen, www.bellinghausen.at
Beethoven Museum im 19. Bezirk (Heiligenstatt), Probusgasse 6, www.wienmuseum.at
Sammlung alter Musikinstrumente, Kostbarkeiten aus fünf Jahrhunderten in den Prunkräumen der Neuen Burg am Heldenplatz, www.khm.at
Haus der Musik, www.hausdermusik.com
Opern- und Klassik-Fundgruben: www.arcadia.at, www.gramola.at, www.doblinger.at
Info: www.musik2020.wien.info, www.vienna.info

 

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