Fotos: © Rolf Breiner
«Zwischen Pagoden und Konsum – Impressionen aus Myanmar»
Von Rolf Breiner
Etwa zwölf Flugstunden liegen zwischen Zürich-Kloten und dem Flughafen von Yangon (Rangun), ohne Umsteigezeit beispielsweise in Bangkok gerechnet. Das Land im Südosten Asiens vollzog im Jahr 2008 eine politische Wende, der Übergang zu einer «disziplinierten Demokratie» wurde annonciert. Seither wird Myanmar (vormals Burma) zu einem Boomland. Nicht nur die Konsumgüter, sondern auch die Touristenströme schwellen an. Reiselustige vor allem aus Asien (Chinesen, Thailänder), Indien und Europa Land suchen das Land der Millionen Pagoden und Tempel heim. Wir waren vier Wochen unterwegs zu zweit plus Chauffeur und Reisebegleiter – von der Metropole Yangon mit sechs Millionen Einwohnern zum geschichtsträchtigen Bagan, dem magischen Mandalay oder dem bezaubernden Inle See.
In unser Bewusstsein drang das Land im fernen, fernen Osten wieder stärker, als Proteste der Studenten, Mönche und Oppositioneller bekannt wurden, als die Lady ins Presselicht rückte, verhaftet und bis 2009 unter Hauarrest gestellt: 1991 wurde Aung San Suu Kyi der Friedensnobelpreis verliehen, den sie allerdings nicht persönlich entgegennehmen durfte. Stattdessen nahm ihr Sohn die Ehrung entgegen. Der Kinofilm «The Lady» zeichnet ihren Lebensweg, ihre politische Arbeit beeindruckend nach – bis zu ihrer Freilassung.
Rund ein halbes Jahrhundert war das Land isoliert, vom westlichen Ausland abgeschottet, von den USA und der EU boykottiert, auf sich und China zurückgeworfen. Und heute: Was hat die Öffnung bewirkt, wo sind Grenzen gesetzt?
Yangon: Keine Velos, keine Mofas
Das Leben pulsiert – wie in Phnom Penh (Kambodscha), in Hanoi oder Ho-Chi-Minh-City (Saigon). Der Verkehr quillt durch Gassen und Strassen. Zwei spezielle und viele andere Besonderheiten weist Yangon (früher Rangun) aus: Velo- und Mofa-/Motorradfahren ist in der Sechsmillionen-Metropole nicht erlaubt. Das Auto – und zwar nicht PS-Vehikel aus alten Zeiten, sondern moderne Schlitten aus Japan, Korea – dominiert den Verkehr. Wenn dann noch Leichtgewichte wie Fahrräder, Mofas und Ochsenkarren hinzukämen, würde der Verkehr auf den maroden Strassen wohl gänzlich zusammenbrechen.
Die zweite Besonderheit ist der Status Yangons: Bis 2005 war das Wirtschaftszentrum die Hauptstadt Myanmars (Burma), dann zügelte die Staatsmacht nach Nay-pyi-daw, 400 km von Yangon entfernt, in die «königliche Hauptstadt». Regierungssitz hin oder her – Rangun vereinigt das alte und moderne Myanmar. Bei einem Besuch des ehrwürdigen «The Strand Hotel», 1901 eröffnet und kürzlich renoviert, atmet man Kolonialzeit und kann obendrein mit einigen Werken heutiger Künstler Bekanntschaft schliessen. Eine Kaffeepause unter den Ventilatoren hat seinen Reiz, die Preise allerdings auch. Da rollen die Dollars. Die amerikanische Währung gehört zum Geschäftsalltag wie die Mönche, die am Vormittag ihre Esswaren einsammeln. Das hat übrigens mit Betteln nichts zu tun, sondern wird als Ehrerbietung angesehen.
Ob im China-Viertel oder in anderen Quartieren – Leben, Arbeiten, Konsumieren spielt sich meistens auf den Strassen ab. Neben Garküchen wie in ganz Asien gibt’s Strassenzüge oder Markthallen mit Handwerkerstätten und -läden. An einem Bücherstand direkt an der Strasse wurde ich stutzig. Kann man seinen Augen trauen, ein Diogenes-Buch mitten in Rangun? Tatsächlich: George Orwells «Tage in Burma», Diogenes Verlag 1986. Der Roman, 1935 in London erschienen, wurde auf Diogenes-Art verpackt und schlicht kopiert. Kaufpreis: knapp 6 Franken. Orwells Roman aus der Kolonialzeit ist uns noch öfter begegnet, auch in Hotelshops. Ein Liebes- und Intrigendrama um britische Kolonialisten mit genauer Beschreibung von Land und Leuten, dabei nicht sehr schmeichelhaft für die Briten. Die Kolonialherren haben Spuren hinterlassen – mit Eisenbahnstrecken, Bildungs- und Strassensystemen. Ein Reisebegleiter aus Myanmar bringt den Unterschied zwischen alten und neuen Herren auf den Punkt: «Die Briten haben genommen und gegeben, die Chinesen nehmen nur.» China ist der wichtigsten Handelspartner, und das Land wird von alten Verträgen mit China geknebelt.
Buddhas Haare und andere Reliquien
Besuch der grössten und höchsten Pagode in Yangon ist ein Muss, Shwedagon (Schwedagon gesprochen) ist so etwas wie der Dom zu Köln. Kein Gebäude in der Stadt darf die Stupa-Höhe von 107 Meter übertreffen. Das goldene, wichtige, sehr lebendige Kulturbauwerk des Buddhismus, in dem acht Haare Buddhas bewahrt werden, wird unentwegt besucht, von Fremden, aber mehrheitlich von Einheimischen. Reliquien Buddhas begenet man auch in anderen Pagoden und Tempeln Myanmars.
Die Verehrung buddhistischer und anderer Persönlichkeiten ist typisch für dieses Land. Poster der Lady findet man in einfachsten Hütten. Unser burmanischer Führer in Yangon bot uns einen Besuch in einem Meditationszentrum an, wo der verstorbene Mönch Mogo verehrt wird, wo Haare und Zähne wie von Buddha ausgestellt werden, die nach seiner Verbrennung erhalten blieben. Ein Beweis für den Gang ins Nirwana. Am Ende bedankte er sich aufrichtig, weil er uns diese Kultstätte zeigen durfte. Durch diese Tat, so der sehr gläubige Buddhist, sei er auf seinem Weg zum Nirwana ein bisschen weitergekommen.
Überhaupt, das Land ist gesegnet oder gepflastert mit Millionen von Pagoden und Tempeln. Diese steinernen Bauwerke mit ihren zwiebelartigen Türmen (Stupas) in vielen Variationen sind auf Initiative von Privatleuten, Herrschern und anderen Machthabern entstanden. Können sie doch wie andere guten Taten zur buddhistischen Erfüllung führen. Wie übrigens auch die Freilassung von Vögeln. Ich bin in Käfigen gefangenen Eulen begegnet, die man für 10, 20 Franken befreien kann. Gut für die buddhistische Seele.
Wallfahrtsorte
Ein Goldener Klumpen auf einem Felsen. The Golden Rock und die Kyaikhtiyo Pagode, 160 km von Yangon, 65 km von Bago entfernt. Der steile Anstieg kann anstrengend sein – zu Fuss. Aber es ist auch möglich, sich wie zu Kolonialzeiten in einfachen Sänften von vier kräftigen Burschen hoch tragen zu lassen. Und man braucht keineswegs ein schlechtes Gewissen zu haben, denn die Träger sind froh um 20 bis 30 Dollar Verdienst. Oben am Goldenen Brocken wähnt man sich bei einem internationalen Meeting. Die Wallfahrer kommen vor allem aus Asien, stark ist Thailand vertreten.
Mount Popa ist auch so ein steiler Fall. 777 überdachte Stufen sind angesagt. Aber es ist leichter, als man denkt. Begleitet auf dem Weg nach oben wird man vor allem von sehr aktiven Affen, die auch mal das eine oder andere klauen, wenn man nicht achtgibt. Am Ende warten ein paar Schulungsgebäude und Klosterräume, nichts Sonderliches, ausser der Aussicht.
Ein anderer Pilgerort ist tief im Kalksteinfelsen versenkt: die Pindaya Höhlen, 320 km von Mandalay. 8094 Buddhafiguren sind zurzeit hier aufgestellt, gespendet nicht nur aus dem eigenen Land, auch aus Amerika, Deutschland oder der Schweiz. Und wenn man will, kann man einer Buddhafigur auch sein eigenes Goldblättchen anpappen. Eine Wunschinvestition.
Wer zählt die Pagoden von Bagan, die aufgetürmten Steinrelikte, die vor sich hindämmern? Diese spitz zulaufenden Zwiebeltürme und Türmchen sind Ziegelbauten (ohne Hohlräume), ummantelt, oft mit Gold beschichtet, bescheidene, verfallene, imposante. Man trifft dort Busse, aber auch Ochsengespanne und Velogrüppchen. Sandige Wege in einer Einöde mit wechselnden Perspektiven. Beim Betrachten des Sonnenuntergangs auf der Spitze der Shwesandaw Pagode von 1057 (auch hier ist Haar von Buddha verborgen) ist man sicher nicht allein. Tausende bevölkern das imposante Bauwerk. Man geniesst und schweigt.
Magisches Mandalay
Das Name klingt magisch: Mandalay. Viel besungen und beschrieben. Der Schriftsteller Rudyard Kipling war wohl der erste aus dem Westen, der ein Gedicht verfasste. Es wurde 1892 veröffentlicht, also zurzeit der britischen Kolonialherrschaft (1885 – 1948). Einige Verse dienten dem Song «On the Road to Mandalay».
«By the old Moulmein Pagoda
Looking eastward to the sea
There’s a Burma girl a settin‘
and I know she thinks of me
for the wind is in the palm trees
And the temple bells they say
Come you back you British soldier
Come you back to Mandalay, come you back to Mandalay.»
Frank Sinatra schwärmte von Mandalay wie viele andere Sänger.
Mandalay war die letzte Hauptstadt des birmanischen Königreichs. Aufgrund astrologischer Berechnungen hatte König Mindo 1857 die Stadt am Irawadi-Fluss errichten lassen. Die Bestimmung und Errichtung der neuer Hauptstadt Myanmars ist also kein Einzelfall, sie hat quasi Tradition.
Mandalay heute ist mit 1,6 Millionen Einwohner die zweitgrösste Stadt des Landes. Ein Moloch im Schachbrettmuster angelegt, etwa 300 km von Bagan und 690 km von Yangon entfernt. Neue luxuriöse Hotelkomplexe wie das Shwe Pyi Thar Hotel können es mit jedem Fünfsternehaus in der Schweiz aufnehmen – auch preislich. Eine Magaritta kostet dort seine 15 US Dollar. Ein anderes, komfortables Hotel, allerdings mit abblätternden Fünf Sternen, bedarf einiger Sanierungen: das Mandalay Hill Resort, sehr idyllisch mit Pool und Park. Auch hier die Preise recht ordentlich mit 8 US Dollar für ein Glas Weisswein und 7 US Dollar für eine Flasche Myanmar-Bier. Alleweil ein komfortabler Standort für diverse Erkundungen.
Beim Gentleman-Driver Aye Lwin und Myanmar-Experte Zin Min Khain waren wir für fast eine Woche in besten Händen. Mit ihnen besuchten wir den Botanischen Garten von Pyin Oo Lwin (3100 Pflanzenarten, davon 96 Sorten von Bambus, Takins/ büffelartige Rinder, Peacock /Symbol von Myanmar u.v.m.), Pagoden zuhauf, wohnten der Speisung von annährend 300 Mönchen (diskret) bei, fuhren auf dem Ayeyarwaddy Fluss (sahen tatsächlich einige Delphine) und überstanden ein Staudesaster von beinahe fünf Stunden auf der China-Road.
Nicht nur für «Isebähnler» ist eine Fahrt auf der historischen Strecke (Anfang des 20. Jahrhunderts) von Mandalay (Start: 4.00 Uhr morgens) nach Hsipaw (an 14.30 Uhr) ein Muss. Man kann natürlich auch nur ein Teilstück in der Upper Class bereisen. In der Ordinary Class findet man dann neben einheimischen Passagieren jede Menge Güter, Reissäcke, Tiere und mehr. Höhepunkt dieser Schaukelfahrt (Wann springt der Waggon aus den Gleise, ist so eine bange Frage) ist eine Stahlbrücke, die sich 700 Meter lang über eine 300 Meter tiefe Schlucht spannt. Die Briten haben die Strecke mit indischen Arbeiten erbaut. Die amerikanische Pennsylvania Steel Company hatte das Gokhteik Eisenbahnviadukt vor 110 Jahren sozusagen auf Stelzen gestellt.
Mandalay wurde im Zweiten Weltkrieg (Kampf gegen die Japaner, die Mandalay eroberten) zu zwei Dritteln zerstört. Imposant ist die riesige Fort-Anlage, von Wasserkanälen umgeben, eine Stadt mitten in der Stadt, einst mit Königspalast. Der Glaspalast wurde rekonstruiert. Heute wirkt die Feste mit ihren Türmen wie ein abgeschlossenes Eiland – schier unnahbar, obwohl Besichtigungen möglich sind.
Bleibende Erinnerungen
Eine wunderbare Vollmondnacht auf einem speziellen «Friedhof» in Mandalay bleibt unvergesslich. Hier findet man bei der Kuthodaw Pagadoe 729 steinerne Schrifttafeln vom 5. Buddhistischen Kongress 1871/72 wie Altäre aufgestellt: das grösste Buch der Welt.
Der Sonnenuntergang auf der 1784 (andere sprechen von 1850) erbauten U-Bein-Teakholzbrücke ist malerisch schön. Sie spannt sich über 1200 Meter, teilweise mit Betonstützen verstärkt, über den Tungthaman See in der alten Königsstadt Amarapura. Hier «pilgern» Fussgänger in den Sonnenuntergang und zurück. Stimmungen, Bilder wie aus frühen Hollywoodfilmen, die in Asien spielen.
Ein Abstecher zu einer früheren Königsstädte, Inwa, ist deswegen so nachhaltig, weil zuerst der träge, bis gewaltige Ayeyarwaddy Fluss überquert werden muss. Dann geht es weiter mit dem Pferdekarren über höchst holprige Landwege vorbei am schiefen Wachtturm Nanmyint zu zwei Klöstern, dem aus Backstein und Stuck gebauten Maha Aungmye Bonzan Kloster und dem aus schwarzen Teakholz erstellten Bargayar Kloster. Begegnung mit einer Schulklasse, von einem Mönch unterrichtet. Andächtige Stille, lautlose Disziplin, spürbare Wissbegier und Aufmerksamkeit. Davon können Lehrkräfte in unseren Breitengraden nur träumen.
Einzigartiger See
In gut einer halben Flugstunde gelangt man von Mandalay zum Flughafen Heho, und dann braucht es einige Stunden holpriger Autofahrt bis zum Bootshafen Nyaung Shwe. Schnittige schmale Boote mit Aussenbordmotor befördern Leute und Waren an alle Orte des 22 km langen Inle Sees (auf 900 Meter ü.M.). Rund 8000 Menschen leben im und am See, in 200 Dörfern und 100 Klöstern. Unser komfortables Quartier auf Stelzen heisst Myanmar Treasure Resort, seit zehn Jahren in Betrieb. Grosszüge Räumlichkeiten in einheimischem Stil, moskitogeschützt, ausgerüstet mit Sat-Fernsehen, Kühlschrank und Seeblick.
Die Ausflüge über den See und auf Flüssen zu Märkten und Handwerkern (Silberschmiede, Stickerei mit Padaung-Frauen, das sind die mit den hochgetürmten Hals- und Beinringen) zählen zu den schönsten in Myanmar. Man schippert förmlich durch die schwimmenden Gärten, beobachtet die Intha (Kinder des Sees) bei ihrer Arbeit, die Einbeinruderer mit ihrem eigenartigen Padelstil. Besonders eindrücklich die Fahrt auf dem Nam Pilu zum Bamboo Forest, zu Fuss weiter zum «Pagoden-Wald».1054 Stupas und Pagoden, die ältesten aus dem 16. Jahrhundert, sind hier versammelt. Viele nur noch in Bruchstücken, einige saniert, renoviert. Ein magischer Wald von Baudenkmälern. Alles in allem sehr originär.
Fast unberührte Strände
Als Ausklang, Entspannung und Verarbeiten der vielen Eindrücke ist ein Strandaufenthalt an der Ngapali Beach zu empfehlen. Denn die vielen Begegnungen, Impressionen, das Reisen fordern Kräfte.
Empfehlung: Lange Strecken mit dem Auto meiden, auch auf kilometeraufwändige Abstecher verzichten. Denn das Autofahren auf den miserabeln Pisten und Strassen kann zum Horror werden. Lastwagen en masse, besonders auf die Route nach China. Die Disziplin der Fahrer ist erstaunlich hoch, nur die Strassen hinken der Entwicklung bedrohlich nach wie auch die Energieversorgung. Viele Dörfer haben keinen Strom, und mit Stromausfall ist jederzeit zu rechnen. Die Hotels haben eigene Aggregate.
An der Ngapali Beach spielt das alles keine Rolle mehr. Touristen sind unter sich, betreut und bedient von liebenswürdig freundlichen Menschen aus Myanmar (die Bezeichnung Burmesen ist nicht mehr gebräuchlich). Der kilometerlange weisse Sandstrand am Golf von Bengalen ist wohl der beliebteste Badeorte Myanmars. Dutzende von Hotels unter Palmen reihen sich aneinander, ohne die Landschaft zu verschandeln. Und es werden weiter mehr. Keine Betonburgen wie am Mittelmeer. Auch erkennt man (noch) keine Zeichen von Konsumoffensive, von Trinkerorgien oder Freizeitangeboten wie Wassersport, Segeln, Surfen etc. Keine Schlacht um Liegen. Wohltuende Ruhe ohne Musikbeschallung und Radioexesse. Der Stand ist gepflegt in seiner Natürlichkeit. Bootfahrer bieten sich für Ausflüge zum Tauchen oder Schnorcheln an. Es gibt kleine Strandbars mit Liegestühlen oder Sesseln für Aperos. Es gibt Massagestätten direkt am Strand und Frauen mit Körben auf dem Kopf, die am Strand wandeln und Ananas, Bananen oder Kokusnüsse anmieten, unaufdringlich und freundlich.
Natürlich kann man bestens im Hotel tafeln, aber günstiger und sehr schmackhaft ist es, in einem der vielen Restaurants an der Hauptstrasse zu essen, im Ambrosa beispielsweise – mit Fischballsuppe, Avocadasalat, Red Snapper (ganz) und einheimischen Syrah (Red Mountain State) für zwei Personen für rund 13 Franken. Seit rund zehn Jahren besitzt Myanmar eigenen Weinanbau im Shan State, in Nachbarschaft zum Inle Lake. Ein französischer Spezialist, François Raynal, war wesentlich am Aufbau beteiligt. Heute werden elf verschieden Weine produziert, rote wie weisse, beispielsweise Syrah, Pino Noir, Cabernet oder Sauvignon Blanc, Muscat oder Chardonnay. Man merke und probiere: Red Mountain Estate sehr schmackhaft und angenehm.
Myanmar im Umbruch
Myanmar boomt und ist heiss begehrt auf dem Reisemarkt. Kein Unternehmen, das nicht Myanmar im Angebot hat. Auch der Immobilienmarkt boomt, die Grundstückspreise in Yangong steigen schier unermesslich. Bei unserer Fahrt durch die Metropole boten uns Strassenverkäufer die Broschüre «Foreigner’s Investment Rules» (Ausgabe Dez. 2012) an. Der Wind hat sich westlich gedreht. Das Konsumangebot (Autos, Mode, Electronic) wird geschürt. In Myanmar, wo wie in Indien zwischen reicher Oberschicht (Militärregime, Mitläufer und Grossunternehmer) und dem normalen Volk eine grosse Lücke klafft, werden Begehrlichkeiten geweckt, die leicht ausser Kontrolle geraten können.
Infrastruktur (Verkehr, Post, Telefon- und Mobilwesen), Energieversorgung und Entsorgung kommen nicht nach. Der Schalter lässt sich nicht mit ein paar Liberalisierungsmassnahmen einfach umschalten. Es droht, seine Unschuld zu verlieren. Wer jetzt Myanmar bereist, wird noch unberührte Landschaften, Kulturgüter, so weit das Auge reicht, antreffen und Menschen, die in unseren Augen arm (kein Strom, kein fliessend Wasser), aber dennoch nicht unglücklich scheinen. Ein Land auch, in dem man sicher fühlt, in dem der Buddhismus allgegenwärtig ist und die Gesellschaft zusammenhält. Das musste auch das Militärregime erkennen.
Myanmar heute
San Suu Kuy ist die Tochter Aung Sans, des Kommandeurs der Burmanischen Unabhängigkeitsarmee, welche sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs auf die Seiten der Briten gegen die japanischen Besetzer schlug. Burma wurde 1943 formell unabhängig, doch die japanischen Armee hielt das Land bis 1945 besetzt.1947 wurde Aung San erster Premierminister und im selben Jahr von politischen Gegnern ermordet.
62 Jahre stand Burma unter britischer Kolonialherrschaft. Die parlamentarische Demokratie – sie konstituierte sich 1948 – wurde 1962 durch einen Staatsstreich beendet. General Ne Win (1948-1981), Sein Lwin (1988), Saw Maung, Khin Nyunt und Konsorten übernahmen die Macht und zogen die wirtschaftlichen Fäden, vor allem mit China. Die Militärjunta liess 2010 erstmals seit 20 Jahren Wahlen zu. Aung San Suu Kyis Partei, die National League für Democracy (NDL), war quasi nicht zugelassen. Die Oppositionelle nahm nach ihrer Freilassung im Januar 2011 ihre politische Tätigkeit offiziell wieder auf. Ende März 2011 wurde die Militärregierung aufgelöst und erste zivile Regierung Myanmars vereidigt. Seither ist der Ex-General Thein Sein Premierminister.
Infos und Lektüre
(rbr) Man sollte nicht bis Myanmar warten, um dort ein (gefälschtes) Exemplar des Kolonialromans «Tage in Burma» von George Orwell an einem Strassenladen zu ergattern. Das Liebes- und Sozialdrama beschreibt Ereignisse um Kolonialisten 1930 in Burma – sehr kenntnisreich und kritisch gegenüber der britischen Kolonialmacht, erstmals 1935 erschienen, auf Deutsch beim Diogenes Verlag, Zürich, 1982 und 1986, 19.90 Euro.
Sie war die letzte Shan-Prinzessin. Die Österreicherin Inge Sargent hatte den birmesischen Fürsten Sao Kya Seng 1953 geheiratet. Der Traum fand 1962 ein Ende, als ihr Ehemann nach dem Militärputsch mit vielen anderen Führungskräften verschleppt und ermordet wurde. Inge Sargent floh in die USA und beschrieb aus Ihrer Sicht die Geschehnisse im Buch «Dämmerung über Birma», Unionsverlag, Zürich 2006 («Twilight over Birma», 1994), 14.90 Franken.
Zwanzig Jahre danach. Die Kulturzeitschrift «Du» hat 2012 wieder (nach 1992) Reportagen zusammengetragen über «Burma» (Nr. 832, 20 Franken), in Deutsch und Englisch. Die Beiträge sind vor allem sozialpolitisch gefärbt, und mit mehr Bildern (schwarzweiss) als Texten gespickt. Bertil Lintner reportiert über «ein Land auf der Suche nach der verlorenen Freiheit». Eher kurz geraten ist das Porträt über «Aung San Suu Kyi».
Viele Bilder, Menschenporträts vor allem, präsentiert der Band «Reisen in Burma» von Bettina Fitner (Fotos) und Alice Schwarzer (Texte). Bildreiche Streifzüge auf dem Ayerwaddy, in Yangon , auf der Pagodenebene von Bagan, am Inle See oder an der Ngapali Beach. Dumont Buchverlag 2012, 39.95 Euro.
Als kompaktes «Handbuch für individuelles Entdecken» erweist sich das praktische Reisebuch «Myanmar – Birma – Burma», Reise Know How, 10. Auflage 2012, 24.50 Euro. Nicht immer ganz auf dem Laufenden (bei Hotels beispielsweise), aber hilfreich und gut dokumentiert., verfasst von Brigitte Blume.
Etwas älter (2011) ist der Nelles Guide «Myanmar», 15.90 Euro. Dicht gedrängt der Text mit schmalen Reiseinformationen. Die Texte sind lebendig und anschaulich, Besonders der erste Teil «Einstimmung» und «Ankunft».ist sehr lesenswert – über knapp 60 Seiten von insgesamt rund 260 Seiten.